Die moderne Technik bietet dem Menschen viele Erleichterungen und ermöglicht gerade dem Laien, Dinge zu tun, die er ohne Hilfsmittel kaum schaffen würde. Manche Geräte sind aber nicht nur Verbesserungen früherer Modelle, sondern komplette Neuentwicklungen, die es so zuvor nicht gab – zumindest aus Anwendersicht, wenn vorher bekannte Prinzipien einfach nicht nutzbar waren. Trotzdem hat die moderne Technik viele Dinge lediglich erleichtert, aber nicht ermöglicht – weil man früher andere Wege kannte, um zum Ziel zu kommen. Fast wie bei der Familie Feuerstein. Aber diese Dinge geraten bei Laien langsam in Vergessenheit. Ich versuche, sie hier zu sammeln.
Buchdruck: Der Buchdrucker hatte einen Setzkasten mit Bleilettern, aus denen er die Druckseite
zusammensetzte. Dabei waren nicht nur Buchstaben vorrätig, sondern auch verschiedene Stücke,
um Abstände richtig hinzubekommen, und Ligaturen gab es gleich als Einheiten – so ist
beispielsweise das „ß“ entstanden (als Ligatur aus s und z), oder die Regel, dass s
und t nicht getrennt werden durfte.
Später gab es dann Setzmaschinen, wo man den Text eingab; die Maschine nahm dann die entsprechenden
Gussformen für die Buchstaben und goss aus Blei den gesamten Zeilenblock – der Setzer musste
nicht mehr buchstabenweise arbeiten, sondern nur noch ganze Zeilenblöcke zu Druckstöcken
verbinden. Abgelöst wurden die Setzmaschinen vom Fotosatz, wo die Buchstaben per Belichtung auf
einen Film gebracht wurden, aus dem in einem weiteren Arbeitsschritt die Druckplatte für den
Offset- oder Tiefdruck erzeugt wurde.
Navigation: Um sich auf hoher See zurecht zu finden, gab es vor allem die Astronavigation, d.h.
anhand von Sonne und Sternen. Wenn man die Jahreszeit und den Winkel des Höchststands kennt, kann
man daraus den Breitengrad berechnen (eine ausreichend genaue Beobachtung vorausgesetzt, z.B. mit einem
Sextant). Am besten ist es, den Polarstern zu verwenden, weil dieser immer gleich hoch über dem
Horizont steht (d.h. man muss nicht den Höchststand abwarten). Der Längengrad war deutlich
schwieriger; eine Methode waren Monddistanzen (d.h. Tabellen, in denen die Entfernung zwischen dem Mond
und verschiedenen Fixsternen verzeichnet waren), aber gelöst war das Längenproblem erst, als
es mechanische Uhren gab mit einer ausreichend hohen Genauigkeit. Davor konnte man nur Breitensegeln, d.h.
zuerst nach Norden oder Süden fahren, bis man den Breitengrad des Ziels erreicht, und diesen dann
nach Osten oder Westen entlangsegeln.
Zusatzinformationen gab es durch den Kompass, der den Kurs (= Winkel relativ zur Nordrichtung)
anzeigt, und durch Koppelnavigation – wenn man die Geschwindigkeit anhand der Logge kennt, kann
man vorherige Positionen extrapolieren. Und in Küstennähe kann man ja immer markante Objekte
anpeilen.
Ein Großkreis (Orthodrome) liefert zwar die kürzeste Verbindung auf einer
Kugeloberfläche, aber die Navigation ist anspruchsvoll, weil sich der Kurswinkel andauernd
ändert. Darum sind Schiffe früher auf Loxodromen gefahren – das sind Linien konstanten
Kurses, welche spiralförmig um die Erde laufen. Eine Strecke auf einer Loxodrome ist zwar
länger als auf einer Orthodrome, allerdings ist der Unterschied bei niedrigen Breiten und kurzen
Entfernungen gering, und die Navigation ist viel einfacher, da der Kompasswinkel gleich bleibt.
Später gab es dann Verfahren wie Decca oder Loran-C, deren Langwellensender eine Hyperbelnavigation
ermöglichen.
Angewandte Mathematik: Vor der Erfindung des Computers gab es keine Möglichkeit, mit
numerischen Verfahren Dinge auszurechnen, die sich nicht analytisch lösen ließen.
(Rechenschieber und ähnliche Geräte sind keine Taschenrechner, sondern nur Zwischenspeicher;
rechnen musste man nach wie vor im Kopf, aber konnte sich auf diese Art Zwischenergebnisse
abspeichern.) Aber zumindest schwierige Rechnungen konnte man sich beispielsweise mit Logarithmentafeln
vereinfachen (bekannt seit dem 17. Jahrhundert) – man schlug den Logarithmus einer Zahl nach, führte dann die Rechnung
„vereinfacht“ durch (Produkte werden zu Summen, Potenzen zu Produkten, Wurzeln zu Divisionen
usw.), und delogarithmierte das Ergebnis wieder mit Hilfe der Tabellen. Die Grundrechenarten erfolgen
dabei schriftlich, so wie man es in der Schule lernt. Und für Integrale und Differenzialgleichungen
gab es Verzeichnisse, wo alle möglichen Sonderfälle aufgezeichnet waren (Mathematik-Software
verwendet weiterhin intern derartige Verzeichnisse). Das ging sogar so weit, dass man die Bahnen der
frühen Raumfahrtmissionen komplett vorberechnete, so dass während der Missionen nur noch
anhand von Tabellen interpoliert werden musste.
Manchmal war dabei die Mathematik den Möglichkeiten voraus; viele numerische Verfahren waren lange
vor Erfindung des Computers bekannt, aber nicht in großem Maßstab nutzbar. Aber auch manche
neuen Anwendungsbereiche erschlossen sich: Beispielsweise war die Rekursionsfolge der Mandelbrotmenge
bekannt, bevor man auf dem Computer sah, dass sich grafisch daraus ein Apfelmännchen ergibt.
Ingenieursverfahren: Manchmal konnte man das Verhalten einer Rechnung auf anderem Wege imitieren.
Beispielsweise kann man, um das Integral einer gezeichneten Funktion auszurechnen, diese ausschneiden
und das Papier wiegen – das Gewicht ist proportional zur Fläche und somit zum Integral. Oder
Statiker konnten ein Modell des Gewölbes aus Schnüren anfertigen und auf den Kopf stellen
– die hängenden Schnüre zeichnen dann die Kraftrichtungen nach. In die gleiche Richtung
geht die Spannungsoptik: Man baut das Bauteil aus Plexiglas, setzt es unter Spannung, und beobachtet es
unter einem Polarisationsfilter – die Spannung sorgt für optische Anisotropie, die man so
beobachten kann. (Heute macht man das mit Finite-Elemente-Methoden.)
Manchmal konnte man allerdings auch Näherungen verwenden; beispielsweise ist es einfach,
sphärische Linsen zu schleifen (der Radius ist konstant), aber asphärische Linsen – die
Abbildungsfehler vermeiden – sind deutlich schwieriger herzustellen und erst im Zeitalter der
Robotertechnik breit verfübar. Ebenso ist es kein Wunder, dass es Freiformreflektor-Scheinwerfer
erst heute gibt, da sich die Form des Reflektors nur in Computersimulationen berechnen
lässt.
Messdatengewinnung und Auswertung: Heute werden Messungen (z.B. in der Wissenschaft) computergesteuert durchgeführt und aufgezeichnet. Früher wurde da einfach mehr Handarbeit investiert: z.B. für seismische Messungen hatte man kein dünnes Kabel mit einem Bussystem, sondern brauchte Personal, um die großen Kabelbäume durch die Gegend zu schleppen. Und die Aufzeichnung wurde analog gemacht, also viel Papier. Auch für die Datenauswertung wurde mangels Rechner auf Arbeitskräfte zurückgegriffen und dabei meist ausgenutzt, dass der Mensch sehr gut im Erkennen von Mustern ist. So mussten (fachfremde) Hilfskräfte riesige Mengen an Messdaten auf Papier sichten, und auffällige Messungen wurden dann von den Fachleuten genauer begutachtet. Ein solch hierarchisches Vorgehen gibt es heute auch noch, allerdings wird die Filterung per Computer gemacht und z.B. durch statistische Regeln beschrieben.
Statik von Gebäuden: Da wurde früher einfach viel mit Erfahrung gemacht. Bei einem
Gebäude ist es eben recht aufwendig, mit Trial-and-Error den richtigen Weg zu finden, daher
beschränkte man sich auf das Erprobte und machte nur kleine Veränderungen. Das ist einer der
Gründe, warum heute viel gewagtere Konstruktionen gebaut werden – man kann durchrechnen, ob
es hält; zudem gibt es heute auch bessere Baumaterialien (optimierte Betonmischungen,
hochbelastbaren Stahl).
Beispiele: Die Römer haben zum ersten Mal Brückenbögen konstruiert. Anfangs verwendeten
sie Vollkreise (siehe Pons Fabricius); dann
merkten sie, dass es Halbkreise auch tun (falls die Fundamente darunter stabil genug sind). Und in der
Gotik kam man dann auf die Spitzbögen – diese sind auch rein geometrische Konstruktionen,
nämlich zwei Kreisbögen mit doppeltem Radius gegenüber dem Rundbogen. Mit der
mathematisch optimalen Bogenform (für Bögen ohne Auflast ist das eine
Katenoide, d.h. Cosinus Hyperbolicus) hat das nichts zu tun, ist aber näher an dieser dran als der
Rundbogen. Wenn man ein Spitzbogengewölbe allerdings auf hohe Säulen stellt, ist es nicht
stabil, weil es die Säulen auseinander drückt. Die Abhilfe der Baumeister war einfach: Von
außen ein Strebewerk dagegen setzen, welches den Druck ausgleicht. Damit dieses stabil genug ist,
muss eine ausreichende Auflast da sein – darum besteht das Strebewerk vieler Kathedralen auch aus
kleinen Türmchen. Sie sind nicht zur Zierde da, sondern sorgen vor allem für Gewicht auf die
Streben! Spätere Kirchenkonstruktionen waren dann so raffiniert, das Strebewerk nach innen zu
verlegen – man setzt die Wände einfach ganz nach außen, und nutzt die Bögen unter
den Strebepfeilern für das Gewölbe eines Seitenschiffs (das entsprechend niedriger als das
Hauptschiff sein muss).
Ein Beispiel für kreative Abschätzung ist die Brücke über den
Firth of Forth. Nachdem die Brücke über den Firth of Tay unter anderem wegen der hohen
Windlast eingestürzt war, wollte man es jetzt besser machen, wusste allerdings nicht, mit welcher
Kraft man zu rechnen hat. Also nahm man die Fensterscheibe eines exponierten Hauses, die seit Jahr und
Tag allen schweren Stürmen getrotzt hatte, und probierte aus, bei welcher Kraft sie bricht; und auf
diese Kraft hin legte man die Forth-Brücke aus.
Ein Beispiel aus moderner Zeit sind die Konstruktionen von Antoni Gaudí – er baute
Hängemodelle aus Schnüren (s.o.), um komplizierte tragende Strukturen scherkräftefrei zu
gestalten. Auch Frei Otto experimentierte, nämlich mit Seifenblasen, um die Zeltdächer des
Münchener Olympiageländes zu modellieren.
Film und Fernsehen: Filmschnitt fand lange Zeit tatsächlich mit Schere und Klebestreifen statt; und Trick-Effekte wurden beispielsweise aufwändig gemalt (Matte-Technik auf Glasscheibe).
Schifffahrt: Schleusen sind seit Jahrhunderten bekannt; aber zuvor wusste man sich auch zu helfen. Man baute eine Folge von Teichen, und schleppte die Schiffe von Teich zu Teich. Angesichts dessen, dass die Schiffe früher deutlich kleiner waren und sowieso flussaufwärts getreidelt werden mussten, war das auch nicht so viel anders.
Segeln: Dass große alte Segelschiffe nicht wie überdimensionale Yachten aussehen, lag an den damaligen Bedingungen; die Materialien waren wohl noch nicht so weit, um bei großen Schiffen einen einzigen riesigen Mast bauen zu können. Aber auch die Bedienung der Segel war ein Grund: Mit Hochsegeln kann man zwar höher am Wind fahren, aber Rahsegel sind kleiner und zahlreicher, und damit mit Muskelkraft beherrschbar (ohne komplexe Mechanik). Und Personal war billig.
Leichtbau: Mangels heutiger Faserverbundwerkstoffe wurde beispielsweise im Flugzeugbau mit
Sperrholz und Stoffbespannung gearbeitet. Letztendlich sind Holz und Bambus auch nichts anderes als
natürliche Faserverbundmaterialien – allerdings kann man die Ausrichtung der Fasern nicht
beeinflussen, sondern muss die natürliche Richtung berücksichtigen.
Fallschirme waren aus Seide statt aus Nylon, und die
Traggaszellen von Zeppelinen waren nicht aus Kunststoff, sondern aus Goldschlägerhaut
(= Haut von Rinderblinddärmen).
Konservierung von Nahrungsmitteln: Einerseits gab es keine Kompressionskühlschränke, andererseits auch keine schnellen Transporte, um im Winter Lebensmitteln von der anderen Seite der Welt zu bekommen. Daher verwendete man andere Verfahren der Haltbarmachung: salzen, räuchern, Weiterverarbeitung in haltbarere Formen (z.B. Milch zu Käse, Kraut zu Sauerkraut). Und es gab Erdkeller in einer Tiefe, wo die Temperatur konstant wenige Grad beträgt (so baute man z.B. die Münchner Brauereien am Isarhochufer, wo man leicht Keller bauen konnte).
Steinbearbeitung: Bevor es Sprengstoff und Presslufthammer gab, bohrte man in Handarbeit Löcher in den Stein, steckte Holzkeile hin, feuchtete sie an, und ließ das sich ausdehnende Holz den Stein sprengen.