Hacker übten schon immer eine besondere Faszination auf mich aus. Zum einen war es natürlich ihr Ruf, ähnlich wie Magier das Unmögliche möglich machen zu können – wenn auch klar ist, dass hinter den Fähigkeiten keineswegs irgendwelche geheimen Zauberkenntnisse stecken, sondern eher eine Mischung aus fundiertem Wissen und Schlauheit. Zweitens haben mich „coole“ Verhaltensmuster nie besonders interessiert, sondern für mich war mindestens ebenso wichtig, was jemand weiß und kann. Und dann kam ich schließlich in Kontakt mit dem Chaos Computer Club, mit seinen Vorstellungen und Diskussionen, mit den Themen der Vorträge und dem Hacker-Leben auf Kongressen und Sommercamps. Ich war begeistert von der dortigen Atmosphäre und den herrschenden Idealen – eine Mischung aus Sachlichkeit, Friedlichkeit, Rücksichtnahme, Wissen und Kreativität, wie man sie viel zu selten findet. Diese Dinge wurden nicht hochgehalten als Ideale, sondern still und leise als Selbstverständlichkeiten gelebt. Auch wenn es manchmal schwer ist, Kontakt zu diesen – manchmal etwas freakigen – Leuten herzustellen; sie sind selten offen und herzlich, sondern eher distanziert-zynisch (ich bin letztendlich genauso), aber dann grundsätzlich sehr freundlich und höflich. Auch wenn es nicht immer leicht ist, in diesen Gemeinschaften Anschluss zu finden (denn man muss von sich aus auf die Leute zugehen, andersherum wird es nicht passieren), kann man sich in diesen Gemeinschaften sehr wohl fühlen, denn sie sind wohltuend frei von Kleinlichkeit und Idiotie; alles wird akzeptiert, und alles sehr pragmatisch und liberal gehandhabt.
Lange Zeit dachte ich, es wäre noch ein weiter Weg, bis aus mir ein echter Hacker wird – trotz eines fundierten Computerwissens gibt es noch so viel, das ich nicht weiß, gleichzeitig bin ich weder ein IRC-Junkie, Usenet-Süchtiger, Dauerprogrammierer, Kryptographiefan noch Sicherheitsexperte (der typische Hacker bewegt sich vergleichsweise viel in diesen Dingen). Ich dachte, was einen Hacker ausmacht, ist ein profundes Grundwissen, sehr viel Erfahrung, spielerische Kreativität und große Intelligenz. Kurz gesagt Leute, die die geistigen Fähigkeiten und auch das nötige Werkzeug bzw. die Grundlagen haben, um daraus Faszinierendes zu erschaffen. So ganz falsch ist das letztendlich nicht. Aber ich habe – erst nach mehreren Jahren – gelernt, dass „Hacker sein“ vielmehr eine Einstellung und Lebensweise ist, aus der sich die obigen Dinge mehr oder weniger von alleine ergeben. Daher die Frage: Was ist ein Hacker?
Hacker sind effizient. Sie verschwenden nicht ihre Zeit für unnötige Wege und Rituale, nehmen dafür sogar in Kauf, nicht verstanden und isoliert zu werden. Sie erreichen oft deshalb außergewöhnliche Ziele, weil sie klar erkennen, worauf es ankommt. Umgekehrt sind sie oft erstaunlich blind für die Vorstellungen der anderen Leute – gewissermaßen sehen sie des Kaisers neue Kleider nicht und sind daher unfähig, mit den anderen Leuten darüber reden zu können.
Hacker haben Ziele. Sie arbeiten meist sehr anwendungsorientiert – ihre Wege können stark variieren, denn sie sind ihnen egal (“your mileage may vary”), nur das Ziel zählt. Sie sind faul und lieben es daher, das Ziel möglichst elegant und effektiv zu erreichen, statt mit alten Methoden betriebsblind zu werden.
Hacker versuchen immer alles zu verstehen. In ihrer Welt gibt es praktisch keine Mysterien; man gesteht sich eher seine Unkenntnis zu einem Thema ein, als dass man das Thema zu einem unverstehbaren Wunder verklärt. (Aus diesem Grund werden sie oft fälschlich als wenig phantasievoll angesehen, nur weil sie sich nicht leicht von Einbildungen täuschen oder verführen lassen. Ihre sparsamen Reaktionen darauf sind dann nicht Unfreundlichkeit, sondern im Gegenteil eine Form von Ehrlichkeit – sie sagen nichts, von dem sie nicht zutiefst überzeugt sind.) Hacker sind also alles andere als engstirnige Kopfmenschen, für die es nur die Dinge gibt, die sie kennen; im Gegenteil, sie sind sich oft sehr genau bewusst, wo ihr Wissen endet, und darum wird man echte Angeberei bei Hackern kaum finden. Und das bedeutet auch nicht, dass Hacker sich nicht wundern oder nicht bewundern können – sie nehmen nichts als gegeben hin, sie kennen viele Hintergründe, und bewundern dadurch Kleinigkeiten, die viele andere Menschen ignorieren.
Hacker machen alles mit Vernunft und Logik, statt mit Vermutungen und Vorurteilen. Das mag erklären, warum sie mit Computern sehr gut zurecht kommen (es ist die gleiche Art der emotionsfreien Ehrlichkeit), aber sich nichts aus Mode und Schickimicki machen (weil es eine nur in sich konsistente Scheinwelt ist, ohne Bezug zur Vernunft). Von Hackern wird oft behauptet, sie hätten eine schwache Sozialkompetenz und wenig Einfühlungsvermögen; auch dieses Vorurteil könnte darin begründet sein, dass es hier oft mehr auf das Image und bestimmte Phrasen ankommt als auf das tatsächliche Verhalten – wer nicht zur richtigen Zeit den richtigen Spruch bringt und seinen Mitmenschen nicht bestimmte Verhaltensmuster und Denkweisen unterstellt (sondern offen zugibt, dass ihre Gedanken nicht lesen kann), ist verdächtig. Wer seine Mitmenschen nur mit Vernunft und Respekt behandelt, statt irrationales und emotionales Verhalten bei ihnen zu provozieren, wird als unfähig zu sozialem Verhalten bezeichnet. Rücksicht und Ehrlichkeit zählen meist weniger, als jemandem nach dem Mund zu reden. Die richtige Symbolik, die richtigen Reaktionen und Interaktionen werden gesellschaftlich höher geschätzt als die nüchterne Logik und das eigenständige Handeln der Hacker. Möglicherweise gelten sie darum gerade in der Schule als Außenseiter, weil man besonders dort noch kaum Möglichkeiten hat, selber zu gestalten und sich selber zu beweisen, und die Inszenierung darum umso wichtiger ist.
Hacker lehnen äußere Kontrolle ab. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass feste Regeln oft sinnlos und hinderlich sind, wenn sie auf neue Wege angewandt werden, und dass letztendlich jeder aus seiner eigenen Perspektive am besten beurteilen kann, wie seine Lage aussieht. Umgekehrt weiß ein Hacker meist recht genau, was für Konsequenzen zu erwarten sind; die oft sehr großen Freiheiten, die innerhalb von Hacker-Gemeinschaften herrschen, existieren deshalb, weil man auf die Selbstkontrolle des Einzelnen weitgehend vertrauen kann, so dass die Freiheiten nicht missbraucht werden. Das Ideal ist also nicht Anarchie, sondern eine bürokratiefreie Selbstkontrolle, die niemanden behindert. Es geht nie um Regeln oder Vorgehensweisen, sondern immer nur um den dahinter steckenden Sinn. Darum scheuen sie sich nicht, ihre Hände schmutzig zu machen, darum ignorieren sie Hierarchien und sind respektlos gegenüber Autoritäten (jedoch stets höflich); wo diese zu viele Rechte beanspruchen, reagieren Hacker mit abwehrender Paranoia.
Hacker sind überall dort gut, wo sie gestalten und Probleme lösen können. Der
Begriff „Kreativität“ hat bei uns eine vor allem künstlerische Bedeutung, aber
Hacker sind vor allem dann kreativ, wenn es darum geht, ein Problem möglichst effektiv zu
lösen, statt auf Standardverfahren zu bauen.
Umgekehrt wird es überall dort schwierig, wo sie mit einer inkompatiblen Welt zu tun haben, die
sich rationell nicht verstehen lässt beziehungsweise wo sie davon abhängig sind, verstanden zu
werden – ihrer überdurchschnittlichen Fähigkeit, neue Wege zu finden, steht meist eine
nicht genauso stark ausgebildete Fähigkeit, diese als selbstverständlich empfundenen Wege
auch erklären und rechtfertigen zu können, gegenüber – oder auch nur das
Bewusstsein, dies tun zu müssen. Ihre Welt ist nicht konstant und nach einfachen Regeln aufgebaut,
sondern alles wird als möglich und machbar angenommen; weil sich ihre Welt kaum in wenigen Worten
beschreiben lässt, lassen sie das meist ganz sein und schweigen.
Hacker sind verspielt; sie halten sich nicht an Standard-Vorgehensweisen, sondern gehen ihre eigenen Wege, die sie im Spiel erkunden, und kommen alleine zurecht.
Hacker sind oft chaotisch und verpeilt. (Nicht umsonst trägt der Chaos Computer Club diesen Namen, der allerdings auch den antiautoritären Charakter widerspiegelt.) Einerseits weil sie sehr pragmatisch sind – es gibt wichtigere Dinge im Leben, als stets Ordnung zu halten. Andererseits tun sie sich auch oft wirklich schwer mit Routineaufgaben, weil sie alles mit Interesse und Konzentration bearbeiten und das auch nicht abschalten können – jede stupide und eigentlich leichte Tätigkeit wird sehr kompliziert, wenn sich nie eine Routine einstellt.
Hacker stehen selten im Rampenlicht. Erstens, weil sie sich nicht dorthin drängen, sondern mit ihrer Energie „nützlichere“ Dinge tun wollen. Zweitens sind sie auch keine Fachidioten, die etwas einseitig auf die Spitze treiben, denn sie sehen meist das Ganze und suchen den guten Kompromiss, der eben weniger spektakulär aussieht. Zudem geben sie sich oft mit einer „80-20-Mentalität“ zufrieden – sie wollen für sich das Optimum erreichen, statt andere Leute zu beeindrucken. Daher findet man sie selten bei Wettbewerben und allen Arten von Leistungsvergleichen; sie sind dort, wo etwas getan wird, und nicht, wo gepredigt wird oder fremde Kriterien erfüllt werden. Drittens sind sie zwar nicht immer erfolgreich, aber wissen meist sehr genau, was sie tun – und lassen daher Dinge sein, die letztendlich zweifelhaft sind, aber für den Laien (und den, der nicht viel darüber nachdenkt) sehr beeindruckend, schwierig und professionell aussehen.
Hacker wissen, wie sie sich Wissen aneignen können. Sie suchen regelrecht Wege, um ihre Vorstellungen überprüfen zu können – vermutlich kommt daher ihr großes Interesse für Verschwörungstheorien.
Zusammengefasst kann man sagen, dass Hacker nicht „besser“ oder „schlechter“ als andere Menschen sind, sie haben nur eine oft sehr verschiedene Herangehensweise an die Dinge – welche oft falsche Assoziationen und Missverständnisse weckt. Verstärkt wird das von der Effizienz, mit der die Dinge gemacht werden – der Hacker verzichtet auf symbolische Verhaltensweisen, und das lässt es für Außenstehende noch rätselhafter und ungewohnter aussehen. Selbst die Tatsache, dass der Begriff „Hacker“ vom Umgang mit Computern stammt und normalerweise auch immer damit in Verbindung gebracht wird, ist keine Ursache, sondern eher eine Folge: Angesichts der erwähnten Herangehensweisen landen die meisten Menschen mit Hacker-Natur automatisch bei den Computern, weil sie dort nach ihren eigenen Idealen gestalten können. Sie haben also eigentlich keine „Computer-Begabung“ (falls es so etwas überhaupt gibt), sondern lediglich eine Herangehens- und Arbeitsweise, die das Verständnis von Computern erleichtert – Arbeit ist es für sie genauso wie für jeden anderen, aber diese Arbeit liegt ihnen.