Die Physik ist der Versuch, die Natur mit Hilfe der Mathematik berechenbar zu machen. Dabei ist die Natur alles andere als einfach - sehr viele Probleme lassen sich zwar mit erstaunlich einfachen Formeln berechnen, die aber nichts anderes als Sonderfälle einer sehr viel komplizierteren Theorie sind. Kurz gesagt: die Physik braucht die Mathematik, und zwar durchaus nicht nur simple Rechenrezepte, sondern für komplizierte Theorien z.B. rund um Elementarteilchen die komplette Hardcore-Mathematik mit allen ihren Herleitungen und geistigen Abflügen.
Die meisten, die ein Physikstudium beginnen, werden in der Schule keine großen Probleme mit der Mathematik gehabt haben - auch wenn die Noten mangels Training vielleicht nicht immer perfekt waren. Von dieser Vorstellung muss man sich unbedingt lösen. Es ist wohl ein verbreiteter Anfängerfehler, zu versuchen, alles zu verstehen. Es geht einfach nicht! Die Vorlesungen lassen es nicht nur vom Tempo her nicht zu, der Stoff ist auch einfach zu schwierig. Selbst Mathematikgenies brauchen für manches Themengebiet Jahre, bis sie es wirklich verstehen. Wenn man also mit Definitionen und Sätzen überhäuft wird, dann muss man sich damit abfinden und das Zeug einfach lernen. Denn alles baut aufeinander auf, und wenn man die erste Definition nicht parat hat, hat man keine Chance, die folgenden Definitionen und Sätze überhaupt mit irgend einem Sinn zu füllen - vom echten Verständnis ganz zu schweigen. Der Kreis schließt sich manchmal erst nach Wochen, oder auch Monaten oder Jahren; das ist einfach so. Sogar Doktoranden erzählen, dass sie manches erst nach dem Diplom richtig verstanden haben.
Mathematik und Physik haben erstaunlich viel mit Gewöhnung zu tun. Manche komplizierten
Dinge versteht man nie, man lernt nur mit der Zeit, damit umzugehen - ein Beispiel ist die Quantenmechanik,
die jedes Vorstellungsvermögen sprengt. Es ist nur normal, beim ersten Mal kaum etwas zu verstehen.
Später im Studium kommt der Stoff irgendwann wieder, und da tut es gut, ihn zumindest schon einmal
gehört zu haben. Es braucht nicht nur Ausdauer, sondern auch Zeit. Vielleicht dauert es bis zum
dritten oder vierten Mal, bis man auf dem Fachgebiet sicher ist. Physik braucht also nicht
nur eine Unmenge von Wissen, sondern auch Zeit. Das Physikstudium ist keine ex-und-hopp-Geschichte,
sondern ein langwieriger Prozess (leider sehen das offenbar nicht alle Professoren so, und wundern
sich, dass die Studenten überfordert sind).
Aber auch weniger komplexe Dinge erfordern Erfahrung, die man nur durch die Beschäftigung mit dem
Stoff bekommt. Im Laufe der Jahre lernt das Gehirn, mathematisch bzw. physikalisch zu denken.
Das merkt man dann in Alltagssituationen, wenn man im Gegensatz zu anderen Leuten Dinge grundsätzlich
nicht nach Gefühl macht, sondern berechnet, oder sich dabei ertappt, wie man sich bei
Abschätzungen überlegt, ob die Beiträge linear oder quadratisch eingehen.
Beim Aufbau dieser physikalischen Denkweise geht dabei nicht
primär darum, das Rechnen zu üben, bis man eine Aufgabe im Schlaf herunterrattern kann,
sondern sich in möglichst vielen unterschiedlichen Problemen zu versuchen. Das Ziel ist,
bei einer Problemstellung alles dazu nötige Wissen im Hinterkopf abrufbar zu haben und das
gesamte Wissen mit allen Anwendungsbereichen verknüpfen zu können, statt
sich in einem Schubladendenken zu verlieren.
Folgende Bücher halte ich für unverzichtbar für den Einstieg in die Physik. Es gibt zwar bei den meisten Kategorien eine ganze Auswahl von Büchern, die wenigsten sind wirklich schlecht, aber gut erklären können nur wenige Autoren. Deren Bücher sind nicht nur hochtheoretisch und trocken, sondern sind trotz des schwierigen Inhalts interessant.
Christian B. Land, Norbert Pucker: Mathematische Methoden in der Physik,
Spektrum Verlag, ISBN 3827402255
In diesem Lehrbuch wird die Mathematik sehr schön anschaulich erklärt.
Und zu allen Herleitungen gibt es Begründungen, warum diese Schritte
nötig sind - so erscheint nichts nur als mathematischer Selbstzweck, sondern
hat einen Hintergrund. Auch viele interessante Zusammenhänge werden aufgezeigt, die
ein Anfänger gar nicht erkennen könnte.
Gerhard Merziger, Thomas Wirth: Repetitorium der höheren Mathematik,
Binomi Verlag, ISBN 3923923333
Dieses Buch ist eine reine Rezeptsammlung. Auf dichtem Raum sind allerhand Definitionen
und Zusammenhänge zusammengefasst, aber ohne Herleitungen. Also ein Zwischending
zwischen einer reinen Formelsammlung und einem Lehrbuch, und ideal, um für
einen Beweis oder komplizierte Aufgabe nachzuschauen, was es Passendes gibt.
Bronstein, Semendjajew, Musiol, Mühlig: Taschenbuch der Mathematik,
Verlag Harri Deutsch, ISBN 3817120141
Der "Bronstein" ist der Klassiker der Formelsammlungen. Unverzichtbar.
Was nicht drinsteht, gibt es wohl auch nicht. Man findet Formeln, einen Abschnitt über
Computeralgebrasysteme, Tabellen z.B. mit wichtigen Integralen, und viele Zeichnungen
veranschaulichen den Inhalt.
Konrad Königsberger: Analysis 1/2,
Springer Verlag
Diese beiden Mathematikbücher führen auf klassische Weise in die Mathematik ein:
Definition, Satz, Beweis, Definition, Satz,... usw. Gut gemacht, aber man muss sich reinknien,
trotz des kleinen Formats haben des die Bücher in sich. Sie sind praktisch fehlerfrei,
aber relativ trocken und extrem theorielastig.
Wolfgang Demtröder: Experimentalphysik 1-4,
Spektrum Verlag
Die Bücher von Wolfgang Demtröder sind eine gelungene Einfürung
in die Experimentalphysik. Neben den Erklärungen gibt es auch Herleitungen,
Rechenaufgaben und sehr interessante Ausblicke auf die aktuelle Forschung, dazu
jede Menge Zeichnungen. Leider ist das Niveau sehr unterschiedlich, manchmal liest
es sich sehr gut und manchmal versteht man es trotz mehrmaligem Lesen nicht.
Nicht das einzige Experimentalphysik-Buch, aber sicherlich eines der empfehlenswerten.
Torsten Fließbach: Mechanik/Elektrodynamik/Quantenmechanik/Statistische Physik,
Spektrum Verlag
Die Bücher von Torsten Fließbach sind an sich gut gemacht, aber
ziemlich harte Kost. Das liegt aber in der Natur der Sache bei theoretischer Physik,
ebenso wie das Fehlen jeglicher Bilder. Bleiwüste pur. Trotzdem gelten diese
Bücher als gut verständlich, ähnliche Abhandlungen anderer Autoren
sind angeblich noch viel unverständlicher. Und man muss auch sagen:
alles ist übersichtlich und klar gegliedert, nach Druckfehlern muss man
schon sehr lange suchen.
Horst Stöcker: Taschenbuch der Physik,
Verlag Harri Deutsch, ISBN 3817115563
So wie der "Bronstein" in der Mathematik ist der "Stöcker"
die Standard-Formelsammlung der Physik, ebenso allumfassend und unverzichtbar. Und
ebenso übersichtlich und gut gemacht.
Sonstiges Material: siehe www.skriptweb.de