Meine Erfahrungen als Randonneur

Warum fahre ich Brevets?

2007 habe ich beschlossen, bei den Randonneuren mitzufahren. Randonneure sind Langstrecken-Radfahrer, die Entfernungen von 200 bis teilweise über mehrere tausend Kilometer quasi am Stück zurücklegen. Für die meisten Leute klingt das unvorstellbar und verrückt. Warum sollte man so etwas tun?

Vielleicht sollte ich eher sagen, was ich am „normalen“ Radsport nicht mag. Eigentlich bin ich ja kein Radsportler, sondern ein Alltagsradler – ich fahre nicht, um mich in Wettkämpfen zu messen, sondern um Strecken zurück zu legen. Ich mag es nicht, mit dem Auto das Fahrrad zum Rennen zu bringen, dann mit einem zu nichts anderem brauchbaren Wettkampfgerät die Runden zu drehen und mit Taktik gegen die Konkurrenten arbeiten, und danach wieder abzureisen. Finde ich etwas pervers. Zudem mag ich Wettkämpfe generell nicht, wenn man keine Chance zum Sieg hat – und das ist der Normalfall, weil es immer Leute gibt, die alles geben und für den Sieg leben, während es für einen selbst nur ein Hobby ist. Ich liebe die Freiheit – ohne Trainingsplan, nur für sich selbst fahren, und dabei sich selbst besiegen. Keine klinische Rennatmosphäre, sondern das echte Leben, wo man auf sich selbst gestellt ist.

Das ist letztendlich die Motivation: Erfahrung sammeln. Wann immer ich etwas „Extremes“ gemacht habe, dann deshalb, weil ich es mir nicht vorstellen konnte. Ich hatte mir überlegt, dass es funktionieren müsste, und es nach guter Planung dann gemacht. Der Gewinn war dann, meinen Horizont erweitert zu haben – und zwar ohne sich kopflos in eine riskante Sache gestürzt und Glück gehabt zu haben.

Und so hat es mich schon immer gereizt, aus dem Fahrrad mehr als ein Sportgerät oder Kurzstreckenfahrzeug zu machen. Große Entfernungen übersteigen das Vorstellungsvermögen; also ideal, um neue Erfahrungen zu sammeln. Außerdem gibt es da noch einen persönlicheren Grund: Ich bin grundsätzlich ziemlich ängstlich, wenn ich die Konsequenzen nicht überblicken kann, und ich muss alles immer zuerst genau geplant und verstanden haben. Also tut es mir gut, gelegentlich mal (mit guter Vorbereitung) das Unplanbare und Unüberblickbare zu tun. Nicht denken: „Wenn ich dahinrase, bin ich nach spätestens 100 km platt“, sondern eine Geschwindigkeit nehmen, bei der man sich immer wieder regenerieren kann, und nicht an das Ziel denken, sondern immer weiter fahren.

Inzwischen hat sich allerdings die Motivation etwas gewandelt. Es ist jetzt nicht mehr so sehr die Herausforderung – nachdem ich inzwischen über ein Dutzend Brevets gefahren bin, weiß ich, was schaffbar ist, und wie man es anpacken muss. Deshalb wird es aber nicht langweilig oder gar ein Kinderspiel; man wird gelassener, und nimmt sich dadurch mehr Zeit, die Fahrt zu genießen. Die Veranstalter legen die Strecken meist durch recht schöne Landschaften, und alleine das macht Spaß. Man kommt wahnsinnig weit herum, lernt seine Umgebung richtig kennen, spürt die Topografie in seinen Beinen, und hält auch immer wieder mal an, um zu fotografieren. Und wenn es nicht so gut läuft, dann weiß man wenigstens, dass man nicht alleine im Nirgendwo ist, sondern andere Randonneure ebenfalls unterwegs sind, die man an der Kontrolle wieder treffen wird.

Aber wenn das Ganze eher den Charakter einer Genuss-Fahrradtour hat, warum tut man sich das an, Tag und Nacht zu fahren, anstatt eine „konventionelle“ Mehrtages-Radtour zu machen? Erstens ist es nicht so anstrengend, wie die meisten Leute glauben. Eine Nacht kann man problemlos durchfahren, wenn man vorher erholt war; Entfernungen bis etwa 600 km sind erfahrungsgemäß gut machbar – erst wenn es länger wird, wird der Schlafmangel ein Problem. Zweitens hat es durchaus seinen Reiz, in die Abenddämmerung hineinzufahren, durch die Nacht zu fahren, und dann morgens die Dämmerung und den Sonnenaufgang zu erleben. Wenn man im Zelt oder im Hotel übernachtet, wird man das wohl nicht erleben. Drittens ist eine klassische Mehrtagestour mit relativ viel Aufwand verbunden – wie oft macht man es in der Praxis? Und dann geht viel Zeit darauf, z.B. sein Zelt aufzubauen und morgens wieder abzubauen. Als Randonneur weiß man dagegen: Dieses Wochenende wird nur geradelt. Nichts sonst. Der Kopf ist frei. Keine große Planung, man kümmert sich nicht um das Wetter, man ist für ein Wochenende ein Vagabund, alleine mit seinem Fahrrad durch die Natur. Schwer zu sagen, was „besser“ ist, ein Brevet oder eine kleine Radreise – die Nachteile eines Brevets sind sicherlich das Fahren in schlechtem Wetter und dass man in der Dunkelheit die Schönheit mancher Landschaft verpasst. Allerdings ist es gerade wegen der kürzeren Zeit und der extremeren Situationen ein intensiveres Erlebnis. Seine Berechtigung hat es auf jeden Fall.

Was sind Randonneure für Menschen, was sind ihre Ideale?

Oben habe ich meine eigenen Beweggründe geschrieben. Aber wie sieht es bei den anderen Leuten aus? Was sind Randonneure für Menschen? Hier sind meine Beobachtungen – vor allem aus Osterdorf, das nicht nur das deutsche Randonneur-Mekka ist, sondern wo auch viel Wert auf die ursprünglichen Ideale gelegt wird:

Es wird ja immer gesagt, das Entscheidende passiere im Kopf. Man muss die richtige Einstellung haben. Mir ist aufgefallen, dass obige Beobachtungen eigentlich ziemlich genau die Ideale der stoischen Tugend – welche ich sehr bewundere – enthalten: Apathie (Gelassenheit), Ataraxie (Unerschütterlichkeit) und Autarkie (Selbständigkeit) (siehe auch meine Philosophie). Zufall? Eher nicht. Aber was kam zuerst? Die richtige Einstellung, und dann das Radfahren? Oder brachte mich das Radfahren auf die entsprechenden Gedanken? Ich denke, das kann man nicht scharf trennen; ich hatte zwar wohl am Anfang eine kompatible Einstellung, aber im Laufe der Zeit haben sich beide Aspekte immer wieder gegenseitig beeinflusst. Faszinierend, nicht?

Berichte von Brevets

Warum? Im Internet findet man nicht viel über das Langstreckenradfahren. Also kein Grund, meine Erlebnisse nicht ins Internet zu stellen.

Erfahrungen

Das, was ich durch die Brevets gelernt habe, lässt sich kondensiert etwa so zusammenfassen: