Ich bin ein Datenreisender

Ich bin oft den ganzen Tag unterwegs, in München und Umgebung, und habe mich daran inzwischen relativ gut angepasst: ich habe alles dabei, was ich so brauche oder brauchen könnte. Wenn man keinen Ort hat, wo man sein Zeug deponieren, sich zurückziehen, arbeiten oder essen kann, sondern immer unterwegs ist, braucht man eine maximale Autonomie, die eine richtige Mischung aus eigenem Equipment, das man wie ein Schneckenhaus mit sich herumträgt, und der öffentlichen Infrastruktur erfordert. Schließlich will man keine Zeit verlieren, abwechselnd gehetzt durch die Gegend rennen und dann sinnlos warten müssen, um dann erst zu Hause wieder richtig produktiv werden zu können. Mit dem Begriff "Datenreisender" meine ich: sowohl sich effektiv fortbewegen zu können als auch jederzeit Zugriff auf alle Daten zu haben und produktiv sein zu können. Auch der Begriff "world processing" (Wortspiel zu "word processing" = Textverarbeitung) bringt diese Lebensweise auf den Punkt.

Wie kam es dazu?

Auslöser für mein Nomadenleben war der Zivildienst. Ich hatte mir vorgestellt, dass ich ihn nicht irgendwo in der Nachbarschaft ableiste, sondern weiter entfernt - zum Beispiel in München, wo ich dann eine eigene Dienstwohnung haben würde, die Stadt kennen lernen könnte und an der Universtiät vorbeischauen und mir über das bevorstehende Studium schon mal ein Bild machen könnte. Natürlich kam es anders; ich bekam eine Stelle in München, aber ohne Wohnung (die war ihnen zu teuer), und ich durfte auch keine Überstunden machen und diese dann kumuliert abfeiern, sondern musste jeden Tag für meinen 8-Stunden-Arbeitstag zusätzlich drei Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringen. Weil meine Tätigkeit reichlich hirnlos war (es ist kaum zu glauben, aber innerhalb eines Jahres kann man spürbar vergesslicher werden) und mir später sogar verboten wurde, in den wenigen Pausen (z.B. um sich im Winter wieder aufzuwärmen) am Computer zu sitzen und zu programmieren (absolut unverständlich, aber was soll man machen), war ich gezwungen, wenigstens die endlosen Zugfahrten zu nutzen. (Dabei erkannte ich, dass es nichts mehr ausmacht, wenn die Fahrt einige Minuten länger dauert und man dafür umsteigefrei sitzen bleiben kann, weil man so weniger unterbrochen wird.)

Ich kaufte mir einen Psion-PDA und begann, ihn für meine sämtlichen Notizen zu nutzen; später schrieb ich auch Briefe damit und übertrug die gesamten Vokabeln und Grammatik-Lektionen des Spanischkurses, den ich mir als geistigen Ausgleich für diese zwar nur manchmal körperlich anstrengende, aber durch ihre geistige Anspruchslosigkeit zermürbende Tätigkeit gekauft hatte, in den Psion. Weil ich kurze Wege gerne mit dem Rad fahre und ich kaum noch zum Radeln kam, weil die Dienststelle 40 km von zu Hause weg war (doch etwas weit...), folgte in dieser Zeit die Anschaffung meines Brompton-Faltrades, das ich in die Stadt mitnehmen kann. Weil ich sowieso schon den ganzen Tag in München verbrachte, blieb ich oft danach noch in der Stadt zum Einkaufen oder zum Chaos-Stammtisch, mit dem Ergebnis, dass ich nur noch zum Schlafen nach Hause kam. Ich war ein Obdachloser, dessen Bett 40 km entfernt stand.

Daten

Warum machen mobile Computer Sinn? Erstens, weil man jederzeit Zugriff auf seine Daten hat. Auf dem Laptop (Abmessungen wie ein DIN-A5-Blatt!) kann ich Unmengen von Dokumentation (z.B. aus dem Internet) sowie alle Texte, die ich jemals geschrieben habe usw. problemlos mitnehmen (und das Gerät ist trotzdem nur so schwer wie ein einziges durchschnittliches Buch), und mit meinem PDA, der am Gürtel jederzeit griffbereit hängt, habe ich immer einen Taschenrechner, ein Notizheft, sämtliche Adressen, meinen Kalender und noch einige andere Dinge zur Hand. Dabei ist der PDA von der Fläche her auch nur in etwa so wie ein DIN-A6-Heft, und außerdem sind alle Daten sauber und übersichtlich geschrieben/dargestellt und ich kann eine Suchfunktion darüber laufen lassen. Insgesamt: Ich brauche mir kaum Gedanken machen, welche Zettel und Blätter ich mitnehmen muss, weil ich sowieso immer alles dabei habe, und dank Verzeichnishierarchie und Suchfunktion finde ich mich darin sehr schnell zurecht.

Zweitens kann ich jederzeit Notizen machen. Ich muss nicht nach Papier und Stift kramen, sondern habe meinen PDA sofort griffbereit (egal, was ich aufschreiben will - ein Gerät für alles), und weil ein Psion-PDA eine Tastatur hat, brauche ich keinen Stift und keine Unterlage, sondern kann im Stehen tippen.
Und was tippe ich da? Neben konkreten Terminen und Verpflichtungen auch Ideen, Erkenntnisse, Gedankenschnipsel - denn solche Einfälle kommen bekanntlich unangemeldet, und geraten auch viel zu leicht wieder in Vergessenheit. Wenn man sich solche gedanklichen Zwischenergebnisse notiert, werden längere Denkprozesse möglich, die man nicht jederzeit aus dem Stegreif hinkriegt. Auf einen Denkansatz folgen mit der Zeit immer neue Argumente und Beispiele, aus denen sich manchmal unerwartete Zusammenhänge herleiten lassen. Im Prinzip dient der Computer (oder allgemeiner das "Notizmedium") hier wirklich als Speichererweiterung für das Gehirn; obwohl ich eigentlich ein sehr gutes Gedächtnis habe, habe ich tatsächlich festgestellt, dass ich umso vergesslicher werde, mit je mehr Dingen ich mich beschäftigen muss (die Halbwertszeit der Gedanken ist gewissermaßen umgekehrt proportional zum Stress). Aber was ich notiere, sind oft nicht die kompletten Gedankengänge, sondern nur Stichwörter - d.h. die Daten selbst sind im Gedächtnis noch vorhanden, fallen einem aber nicht mehr ein, die Notiz wird zu einem Inhaltsverzeichnis verblassender Gedanken. Und wenn man weiß, dass man sich etwas notiert hat, macht das den Kopf frei für neue Gedanken. Nicht, dass man die alten deshalb gleich vergisst, aber man kann beruhigt sein, dass es nichts ausmachen würde.

Aber ich schreibe nicht nur Dinge auf, sondern habe jetzt auch immer meine Digitalkamera dabei, um Stimmungen festhalten zu können (immer dann, wenn ein Bild mehr als tausend Worte sagt - wie, beispielsweise, will man die Stimmung auf dem Volksfest besser beschreiben als durch ein Foto der Lichter und Farben?), und bei Liegeradtouren und Segeltörns läuft immer das GPS mit und zeichnet die Route auf. Speziell auf Reisen werde ich zum Datensammler, was die Reisen, wie ich finde, intensiver macht. Nicht nur, um einfach möglichst viel Zeug aus dem Urlaub mitzunehmen, sondern auch, weil ich danach meist einen Reisebericht schreiben will, in dem nicht nur die Erlebnisse chronologisch aufgelistet sind, sondern auch beschrieben ist, was an der Reise und am Land besonders war. Dadurch bin ich gezwungen, bei allem sehr genau hinzuschauen und mir immer zu überlegen: "Was ist hier anders als zu Hause? Warum ist es hier so faszinierend?" - durch das Schreiben muss ich diffuse Vorstellungen und Gedanken zu möglichst prägnanten Worten destillieren, und dazu reicht nicht das bloße Anschauen, sondern man muss das Gesehene formulieren und strukturieren. Ich notiere also nicht nur alles, was erwähnenswert erscheint, sondern versuche auch permanent, eine Ordnung in das Gesammelte zu bringen. So werde ich - so seltsam es auch klingen mag - durch das Notieren zum besseren Beobachter.

Notizen, Fotos, GPS-Tracks usw. - das alles liefert Datenschnipsel, die momentan unspektakulär wirken, aber in Zukunft Erinnerungen erwecken können und vielleicht auch im Nachhinein Entwicklungen erkennen lassen, die bis dato unbemerkt geblieben waren (evtl. durch Data Mining). Das ist es: Dinge aufbewahren, die momentan unwichtig erscheinen und daher in Vergessenheit geraten würden, aber später einmal interessant werden können. Mit offeneren Augen durch die Welt gehen, mehr Details wahrnehmen, und ohne momentane Verwendungsmöglichkeit erstmal wegspeichern, um auf diese Weise das Denken und Erinnern zu optimieren. Das ist ganz im Geist von Wau Holland, der angesichts seiner etwas chaotischen Datensammlung einmal gesagt hat: "Dies sind keine Meldungen im Sinne der dpa; für viele wären das nicht einmal ordentliche Daten. Es sind Wünsche, Bereitschaften, Suchen, wichtige Anfänge. Sie sind nach dem Stadium ihrer Verwirklichung zu ordnen, oder nach dem nächsten notwendigen Schritt. Eine solche Datenbank unterscheidet sich von anderen dadurch, dass sie nicht nur alte Fakten enthält, sondern auch neue Absichten. Das generiert Zukunft."

Drittens bietet das Internet interessante Möglichkeiten des Zugriffs auf entfernte Daten. Nicht, dass Datenfernübertragung sonderlich neu wäre, es gibt sie schon fast so lange, wie es Computer gibt - aber dank des Internet-Booms gibt es heute fast überall auf der Welt Zugang zum Internet, und es ist erschwinglich und schnell. Das Netz hat das Henne-Ei-Problem, nämlich dass es nur von Leuten benutzt wird, wenn viele andere Leute es auch benutzen, überwunden. Jetzt haben wir bald eine Vernetzung, wie sie für das Konzept des Network-PCs (NC) benötigt wird, d.h. es bietet sich zunehmend die Möglichkeit, Daten und rechenintensive Anwendungen auf vernetzte stationäre Rechner (z.B. Webserver) auszulagern, auf die man mit schlanken, mobilen Clients zugreifen kann. Die Bahn-Auskunft ist so ein Beispiel: man braucht sich nicht mehr eine CD-ROM mit den Fahrplandaten kaufen, sondern kann mit einem simplen kleinen WAP-Handy online recherchieren. Dieses Prinzip wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Und viertens bin ich der Meinung, dass die Fähigkeit, seine Daten gut strukturieren und sortiert abspeichern zu können, zu einem wichtigen "Soft-Skill" in der Zukunft wird. Nur wer sich in seinem Datenwust zurechtfinden kann (und dazu werden neben schriftlichen Daten zunehmend Bilder, Videos, Audioaufzeichnungen und möglicherweise interaktive Mischformen gehören), kann davon wirklich profitieren. Nur wer effektives "Data-Mining" beherrscht, kann aus seinen Daten den maximalen Mehrwert herausziehen. Indem ich mich tagtäglich damit beschäftige, lerne ich, meine Daten sinnvoll zu organisieren. Ich bin zwar bei weitem nicht perfekt, es gibt noch einiges zu perfektionieren, aber ich bin auf dem richtigen Weg.

Mobilität

Warum sollte man sich über unsere Verkehrsmittel Gedanken machen? Wir haben Autos, wir haben schnelle Züge, das Autobahnnetz wird immer dichter, ICE-Strecken sprießen wie Pilze aus dem Boden, jetzt sollen auch noch Transrapidstrecken hochgerüstet werden - sind wir bald am Ziel der absoluten Mobilität?

Nein! Wenn man nämlich die Durchschnittgeschwindigkeit eines Weges berechnet - von Haustür zu Haustür -, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Höchstgeschwindigkeit des Verkehrsmittels (auf Kurzstrecken) erstaunlich wenig mit der Fahrzeit zu tun hat. Sobald man mit dem Auto auch nur kurz im Stau steht, sobald man mit der Bahn wenige Minuten auf einen Anschlusszug warten muss, sobald man vom Bahnhof oder Parkplatz einige Minuten zu Fuß zum Zielort oder umgekehrt laufen muss.

Man kann also selbst durch Raserei kaum Zeit sparen - oft gerade einmal wenige Minuten, und erkauft sich das beim Autofahren durch Stress, einen hohen Spritverbrauch, vielleicht sogar ein erhöhtes Unfallrisiko. Manchmal lohnt sich das Gegenteil: man fährt mit dem Zug - auch wenn dieser länger braucht - und kann sich dafür ausruhen, etwas lesen oder arbeiten. Wenn man wirklich effektiv Zeit sparen will, dann muss man nicht an den schnellen Streckenabschnitten noch schneller fahren, sondern muss Wartezeiten und langsame Abschnitte (wo auf einem kleinen Teil der Strecke ein Großteil der Zeit verloren geht) optimieren. Beim öffentlichen Nahverkehr heißt das: nicht am Bahnhof auf U-Bahn, Straßenbahn oder Bus warten und zu Fuß laufen, sondern das letzte Stück mit dem Fahrrad zurücklegen - idealerweise mit einem Faltrad, das man im Zug mitnimmt und das man sowohl zum Start- als auch ab dem Zielbahnhof benutzen kann. Und natürlich auch für weitere Wege, wenn die S-Bahn Verspätung hat oder komplett ausfällt; man hat immer ein Stück "Restmobilität" dabei.

Die Idealvorstellung einer effektiven und intelligenten Mobilität besteht also erstens aus der sinnvollen Kombination von Verkehrsmitteln und aus Aktivitäten, mit denen man die Fahrzeit überbrückt. Bei mir sieht es oft so aus: mit dem Faltrad zum Bahnhof, rein in die S-Bahn, Laptop aufgeklappt, in der Nähe des Ziels raus aus dem Zug und die letzten paar km wieder per Faltrad. Aber ich probiere auch andere Fortbewegungsmittel aus, ob sie als alternative Verkehrsmittel taugen (natürlich nur in einem begrenzten Anwendungsgebiet). Ganz sicher tauglich sind Fahrräder, z.B. ist mein Liegerad für Entfernungen von 5-50 km eine feine Sache. Aber auch ein Microscooter hat seinen Anwendungsbereich, nämlich bei Kurzstrecken, bei denen sich ein Fahrrad einfach nicht lohnt (zum Beispiel, wenn man sich in großen Gebäudekomplexen bewegen muss), aber schneller als zu Fuß sein will. Oder als ich mit einer Schiene um mein Bein nur noch langsam laufen konnte, nahm ich den Scooter, stellte mich mit dem kranken Bein drauf und rollerte mit einer vielfachen Geschwindigkeit dahin. Ein Microscooter als "Mini-Rollstuhl" gewissermaßen. Inline-Skates könnten auch ihr Anwendungsgebiet haben - wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Rollen schnell an- und abzumontieren (z.B. wenn Treppen im Weg sind) und man mit den Schuhen trotzdem bequem laufen könnte - obwohl es Skates mit abnehmbaren Rollen gibt, scheitert es an letzterem, weil man dahinstelzt wie in Skistiefeln.

Damit wäre jetzt geklärt, wie man sich fortbewegen kann - aber warum sollte man es tun? Warum verreise ich, wohin, und warum möchte ich dabei nicht auf mein Faltrad verzichten? Natürlich macht eine Reise Spaß, man hat Abwechslung und kann sich erholen. Aber man sieht auch, wie andere Leute leben - und mindestens genauso interessant wie exotische Völker am anderen Ende der Welt sind Leute, die beispielsweise in europäischen Nachbarländern leben, weil man bei ihnen beobachten kann, wie sie bei vergleichbaren Lebensumständen mit verschiedenen Dingen vollkommen unterschiedlich umgehen. Erst so erkennt man, dass jene Dinge, die man als normal hinnimmt und über die man gar nicht mehr nachdenkt, in Wirklichkeit nur jeweils eine Möglichkeit von vielen sind. Voraussetzung für so eine Erkenntnis ist aber erstens, dass man nicht in ein abgeschottetes all-inclusive-Feriencamp fährt, in dem der Gast das geboten bekommt, was er erwartet und gewohnt ist, sondern indem man die dortige Infrastruktur mitbenutzt und dabei sieht und hört, wie das Leben der Einheimischen ist. Zweitens hilft es auch nichts, wenn man in das dortige Leben nur punktuell eintaucht, d.h. wenn man sich von einer geführten Tour oder Taxi an verschiedene Orte bringen lässt - es fehlt der örtliche Zusammenhang. Gerade Städte bestehen nicht aus einer losen und beliebigen Ansammlung von interessanten Ecken, sondern sind geschichtlich gewachsen, und so versteht man eine Stadt erst, wenn man zu Fuß kreuz und quer durch das Zentrum gelaufen ist, wenn man mit dem Fahrrad die Gegend erkundet hat, wenn man mit dem Auto nicht nur stumpfsinnig den Schildern auf der Schnellstraße entlanggefahren ist, sondern sich selbst anhand der Karte seine Wege gesucht hat, oder wenn man sich selbst durch den Dschungel von Fahr- und Netzplänen der öffentlichen Verkehrsmittel gekämpft und sich seine Fahrt mit Bus und Bahn selbst zusammengestellt hat. Denn wie oft hört man von Leuten, die gerade erst von einer Reise zurückgekehrt sind, wie sie von der tollen und fachkundigen Führung schwärmen, aber dann bei der Nachfrage, wo sie denn überall gewesen seien, nicht mehr viel sagen können. Drittens ist es schließlich wichtig, sich nicht nur die Berühmtheiten und Sehenswürdigkeiten genau anzuschauen - denn diese werden sorgfältig erhalten und gepflegt, verändern sich nicht -, sondern auch die kleinen alltäglichen Dinge, und dort nach Unterschieden zum gewohnten Bild zu suchen. Manches kann man beobachten, für andere Dinge braucht man Hintergrundwissen - und damit wären wir wieder am Anfang: nur wenn man die Handlungen der Menschen erkennt, kann sie nachvollziehen; nur wenn man ihre Sprache versteht, kann man ihre Vorstellungen verstehen. Natürlich könnte man das beliebig weit treiben (z.B. muss man eine Sprache sehr gut kennen, um die feinen Nuancen zwischen den Dialekten zu erkennen; und selbst wenn diese Voraussetzungen alle erfüllt sind, fehlt einem trotzdem ein Teil der gemeinsamen Erfahrungen der Menschen - politische Ereignisse bis hin zu TV-Sendungen - die ihre Unterhaltungen und ihren Humor prägen), das Ergebnis ist immer: je mehr man weiß, desto leichter fällt das Erkennen neuer Dinge und das Sammeln weiteren Wissens über das Land. Was hilft es, wenn man nach China fährt, über die wundersame fernöstliche Kultur staunt, aber mangels Schrift- und Sprachkenntnisse nur einen winzigen Bruchteil der Kultur verstehen kann, und zum Teil auch noch gefiltert durch den Reiseführer, der das erzählt, von dem er glaubt, dass es die Teilnehmer interessiert? Sicher, man muss sich seinen persönlichen Cocktail aus Hintergrundwissen und Neuland zusammenstellen, aber durch die Beispiele wird klar, dass eine interessante Reise noch lange kein fernes und exotisches Reiseland voraussetzt.
Aus diesen Gründen bin ich ein überzeugter Individualreisender; es geht dabei nicht darum, möglichst immer gegen den Strom zu schwimmen, sondern man kann aus jedem Urlaub eine Entdeckungsreise, ein kleines Abenteuer machen - auch wenn sich das Ziel anfangs nicht spektakulär anhört.

Ansichten eines Extremen: Steven K. Roberts

Der Amerikaner Steven K. Roberts hat das Konzept, ein Datenreisender zu sein, wohl am weitesten getrieben. Bis zum Jahr 1983 wohnte er in einem amerikanischen Vorort und arbeitete als Selbständiger; dabei bemerkte er, dass sein Lebensstil kein bisschen freier und selbständiger ist als bei anderen Leuten: er saß immer nur an seinem Schreibtisch, um sich einen Lebensstil zu finanzieren, den er eigentlich nicht mochte, in einer Umgebung, die er nicht mochte, und für seine früheren Hobbies wie Schreiben, Abenteuer erleben, Amateurfunk und Radfahren war keine Zeit mehr. Die Träume und Leidenschaften von früher waren vergessen. Natürlich entwickelt sich man auch in einem langweiligen Leben weiter, aber entgeht einem so mancher Geistesblitz, so manche Erkenntnis, die man bekommt, wenn man ein abenteuerliches Leben führt und die Dinge aus verschiedenen Perspektiven kennen lernen kann.

Er war sich sicher: The greatest risk of all is taking no risk. Abenteuer sind nicht das Ergebnis schlechter Planung, sondern man soll sie bewusst in Kauf nehmen. Das hat nichts mit Unvorsichtigkeit zu tun - sondern damit, dass man sich durch mangelnde Erfahrung nicht von einem Vorhaben abbringen lassen soll, solange man sich sorgfältig vorbereitet und überlegt handelt. Das ist schließlich genau das, was das Handeln von Leuten wie den Extrembergsteiger Reinhold Messner oder den Einhand-Weltumsegler Wilfried Erdmann ausmacht. Also verkaufte Roberts sein Haus und einen Großteil seines Besitzes, und kaufte sich dafür ein Liegerad, mit dem er durch das Land reiste. Natürlich ausgerüstet mit allem, was er zum Leben und Arbeiten braucht, d.h. vor allem Computer und Kommunikationseinrichtungen (die er zum Großteil selbst entwickelte). Denn seine Beobachtung ist, dass viele Leute, die monate- oder jahrelange Reisen machen, Schwierigkeiten haben, über aktuelle politische und gesellschaftliche Vorgänge und technische Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben (sie verlieren den Bezug zur gesellschaftlichen Realität, driften in eine eigene Realität ab), viel Zeit unterwegs unproduktiv verbringen und manchmal auch einsam werden. Roberts hat dagegen seine Computer dabei, um jederzeit seine Kreativität produkiv umsetzen zu können, und durch Amateurfunk und Internet ist er in eine globale Gemeinschaft integriert, die ihn mit Neuigkeiten und Gesprächsstoff versorgt - immerhin bereits in den 80er- und Anfang der 90er-Jahre, als noch niemand von virtuellen Gemeinschaften sprach.

Wie macht er das?

Roberts hatte nicht nur ein Liegerad, sondern insgesamt drei: sein erstes Rad nannte er "Winnebiko I", dessen Nachfolger (mit dem er am längsten unterwegs war) "Winnebiko II", und sein ultimatives Super-Rad schließlich "Behemoth". Auch wenn letzteres vielleicht überzüchtet und zu praxisfern geworden ist - ich beschreibe es hier, um zu zeigen, wie weit er gegangen ist.

Als Basis dient ein zweieinhalb Meter langer Langlieger mit einem Anhänger. Zur Energieversorgung sind darauf Solarpaneele (72 W) montiert, die Akkus im Fahrrad (in der "RUMP" = rear unit of many purposes) und Anhänger speisen (mit automatischer Umschaltung, um Abkuppeln zu können, ohne die Stromversorgung für die Systeme zu unterbrechen); die Akkus können aber auch über Netzstrom (alle Spannungen) oder Auto-Zigarettenanzünder geladen werden. Als Computer hat er einen Macintosh-Laptop verbaut (über dem Vorderrad unter einer Glasfaserhaube) mit einer stromsparenden RAM-Disk, als Software ist neben einer Hardware-Kontroll-Konsole unter anderem ein E-Mail-System, Textverarbeitung, Kommunikationssoftware und eine Präsentationssoftware für Sponsor-Informationen bei Vorführungen. Hinter dem hochklappbaren Mac-Display ist ein weiterer Bildschirm, der zu einem DOS-Rechner gehört (16 MHz 80286-Prozessor, 4 MB RAM, 40 MB HD), auf dem OrCAD, AutoCAD, elektronische Landkarten und Software für programmierbare Logikgatter zu finden ist. (Problematisch bei Umgebungslicht war bei diesen passiven LCD-Displays der geringe Konstrast.) Ein dritter PC (DOS) ist hinter dem Sitz montiert, und ein vierter Rechner (DOS), der auf stromsparenden Betrieb ausgelegt ist, ist ebenfalls vorne in die Konsole integriert. Und schließlich kam noch eine SPARCStation dazu (weil er immer ein "Unixcycle" wollte). Vernetzt werden diese ganzen Rechner und sämtliche Elektronik über ein paar stromsparende Microcontroller. Das ist das Hauptkonzept: einfache Aufgaben werden von diesen Microcontrollern erledigt, und die ausgewachsenen PCs werden nur je nach Bedarf zugeschaltet. Auch sämtliche Audio-, Video- und Datenverbindungen lassen sich vollkommen flexibel von jedem Gerät an jedes andere leiten, alles ist auf maximale Flexibilität und Erweiterbarkeit optimiert. Möglichst wenig ist fest verdrahtet, sondern lässt sich bequem über eine graphische Benutzeroberfläche zusammenschalten.

Ein weiterer wichtiger Punkt war die Optimierung der Mensch-Maschine-Schnittstelle. Der Lenker dient deshalb nicht nur zum Lenken, sondern beherbergt neben der Gangschaltung (durch ein zusätzliches Schaltwerk von 18 auf 105 Gänge aufgebohrt, d.h. drei Schalthebel) und Bremshebeln (Hydraulikbremse vorne/hinten, sowie eine Feststellbremse zum Parken) auch einen Knopf für die Luftdruckhupe, einen Sprechknopf für die Funkgeräte und auf jeder Seite eine 7-Tasten-Tastatur, um auch während der Fahrt Texte schreiben zu können (die spezielle "Tastatur-Stenographie-Codes" werden über einen Microcontroller auf normale Tastatursignale umgesetzt). Der Helm ist ähnlich multifunktional: Scheinwerfer sind oben installiert (Abblendlicht und Fernlicht) und Kopfhörer und ein Headset-Mikrofon können benutzt werden, um zu telefonieren, zu funken, Musik zu hören, Statusmeldungen des Computers via Sprachsynthese zu hören oder umgekehrt den Computer via Spracherkennung zu kommandieren - die Audio-Kanäle können beliebig zusammengestellt werden. Eine Sonnenbrille ist integriert, ebenso ein Trinkschlauch, vor einem Auge ist ein Mini-Bildschirm (720x280 Pixel) installiert, rundherum ist eine Wasserkühlung verlegt, damit man nicht schwitzt, und schließlich kann man mit Hilfe von Ultraschallsensoren den Mauszeiger auf dem Apple-Bildschirm mit Kopfbewegungen steuern.

Die Kommunikation erfolgt über ein Mobiltelefon, eine Amateurfunkausrüstung, ein normales Funkgerät und einen Internet-Zugang via Satellit. Modems für das Handy, normale Telefonleitungen und Funkgeräte bieten alternative Möglichkeiten des Datenaustauschs. Sogar ein Umsetzer, mit dem man normale kabelgebundene Geräte wie Faxgeräte oder Online-Kreditkartenbezahlsysteme über Mobiltelefon betreiben kann, ist an Bord. Und sogar Amateur-TV-Sendebetrieb ist möglich! Der dafür nötige Antennenpark befindet sich auf dem Anhänger. Der physikalische Ort wird unbedeutend, wenn man im Cyberspace ist und jederzeit E-Mails lesen und schreiben kann sowie im Usenet präsent ist.

Um auch ohne Fahrrad nicht ganz hilflos zu sein, gibt es im Anhänger ein "Manpack" mit 10 W-Solarmodul, sowie einen normalen Laptop (Macintosh Powerbook) und ein Handfunkgerät - damit kann Roberts sogar bis aus zwei Meilen Entfernung das Fahrrad fernsteuern und auf dessen Ressourcen und Daten zugreifen. Das Liegerad selbst ist durch ein mehrstufiges Sicherheitssystem geschützt: ein Doppler-Mikrowellensensor erkennt sich nähernde Personen, und u.a. ein Neigungssensor, die Überprüfung von unerlaubter Schalterbetätigung und eine Positionskontrolle via GPS kontrolliert das System, und bei einem Alarm kann eine Meldung per Funk an das Manpack gesendet werden (Roberts kann dann das Fahrrad via Sprachsynthese sprechen lassen), oder die Computer können selbständig agieren, z.B. einen Notruf an die Polizei absetzen.

Sicher ist Behemoth in vieler Hinsicht vollkommen übertrieben - ein 250 kg-Monster, das bei Steigungen so langsam wird, dass es pneumatisch ausfahrende Stützräder braucht (daher auch der Name: BEHEMOTH = Big Electronic Human-Energized Machine ...Only Too Heavy) und als Fahrradwerkzeug u.a. ein 10 MHz-Oszilloskop, einen Logiktester, einen Lötkolben und ein Sortiment von Chips braucht. Aber Kompromisse waren nie das Ziel. Behemoth lotet die Grenzen von Autonomie auf dem Fahrrad aus, und angesichts dessen, dass ein leerer Kleinwagen mindestens das Dreifache wiegt, erscheint das Gewicht gar nicht mehr so schlimm - in Relation dazu, was das Gerät alles leistet.

Nach Behemoth zog es Roberts aufs Wasser. Er baute das "Microship", ein Trimaran für Binnen- und Küstengewässer, der sowohl segeln als auch elektrisch oder mit einem Pedalantrieb angetrieben werden kann - und natürlich wieder voll mit Technik ist. Von den Abmessungen her hat er ihn so bemessen, dass er einerseits notfalls darin schlafen kann, aber damit man das Schiff auf ausfahrbaren Rädern noch per Muskelkraft an Land ziehen kann und so auch ohne Hafeninfrastruktur an Land kommen kann. Mal sehen, was er damit noch alles erlebt.

Warum macht er das?

Erstens sieht er sich als Vorreiter einer zukünftigen Gesellschaft, in der der Austausch von Informationen eine sehr wichtige Rolle spielt und in der Dinge wie das papierlose Büro und eine ökologische und energiesparende Lebensweise verwirklicht sind. Für dieses globale Dorf, in dem die physikalischen und politischen Grenzen an Bedeutung verloren haben, sieht er sich als Forscher und Wegbereiter, der die Technik der Zukunft nach seinen Visionen und Bedürfnissen entwickelt und im realen Einsatz ausprobiert (statt technische Gadgets zu bauen, die cool aussehen und die neueste Technik enthalten, aber ohne jeglichen Nutzwert sind - wie man es auf Computermessen oft sieht). Entsprechend wurde er oft ungläubig angestarrt, wenn er bereits Mitte der 80er-Jahren mit Laptops, Solarzellen und einem Liegerad unterwegs war - aber er hat aus der damaligen Technik Erstaunliches herausgeholt und verwirklicht, was heute, 10-15 Jahre später, als letzter Schrei der Computertechnik gilt.

Zweitens sieht er sich als Berater. In einer Informations- und Wissensgesellschaft, in der das Wissen exponentiell ansteigt und sich die Fachleute somit immer stärker spezialisieren müssen, sieht er den Bedarf für Leute wie ihn, die ein breites Wissensspektrum haben. Reich an Erfahrungen mit der ganzen Technik und den Kommunikationsnetzwerken sowie mit Menschenkenntnis durch Kontakt mit Leuten in verschiedenen Gegenden, mit verschiedenen Mentalitäten und aus verschiedenen sozialen Schichten könnte er als fachgebietsübergreifender Mittler und Berater zwischen den Experten eingesetzt werden.

Drittens sieht er die Chance, das Know-How über die ganzen technischen Systeme anderweitig zu nutzen. Schließlich musste er fast alles, von der Stromversorgung (und Energiemanagement) über die ganzen Microcontroller, die die Sensoren, die Ein- und Ausgabegeräte und die Rechner miteinander verbinden, bis zum Kommunikations- und Sicherheitssystem, selbst entwickeln, und seine Lösungen und Erfahrungen könnten zu einer Vielzahl von Spinoffs weiterentwickelt werden.

Viertens möchte er seine Erlebnisse veröffentlichen - denn die Leute seien schon immer an den Abenteuern von Reisenden und an Einblicken in das Leben von faszinierenden Persönlichkeiten interessiert. Das Reisen und das Schreiben seien daher untrennbar verbunden, und mit seiner leistungsfähigen Ausrüstung zum "biketop publishing" gäbe es auch keine Ausrede mehr, seine Erlebnisse (für die sein Lebensstil eine endlose Quelle ist) nicht in Worte zu fassen.

Fünftens ist er gerne in einer "globalen Gemeinschaft" von Leuten, die z.B. über Computernetzwerke kommunizieren. Er möchte sich nicht in seinem Zuhause auf Kontakte zu Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen beschränken, sondern die ganze Welt soll sein Zuhause sein. "Nomadness is the most social lifestyle", meint er. An ungewöhnlichen Orten bekommt man schließlich ungewöhnliche Ideen.

Und sechstens macht ihm so ein Leben einfach Spaß - ein Leben frei von Alltagstrott und täglicher Routine. Er kann jederzeit seine Träume ausleben, ist frei und ungebunden. Dazu kommen die technischen Herausforderungen für einen Bastler, sich die Apparate zu bauen, die er benötigt, und die Gewissheit, dass es noch niemand anders versucht hat. Das ganze Leben wird zum aufregenden Forschungsprojekt, und man ist permanent am Lernen (und lernt sehr schnell, weil man immer wieder auf konkrete Probleme stößt, die gelöst werden wollen). Er ist auch interessant für die Medien, und das vereinfacht die Suche nach Sponsoren, wodurch manche technischen Spielereien erst erschwinglich geworden sind. Trotzdem: in Geld schwimmt Roberts wirklich nicht, und sieht es als Herausforderung, komplizierte und anspruchsvolle Projekte mit einem begrenzten Budget und nur der Hilfe von Freunden und Freiwilligen zu bewältigen.

Wenn auch nicht am Ziel (falls man das überhaupt sein kann), aber zumindest auf dem richtigen Weg glaubt er zu sein - und ruft alle Leute auf, seinem Beispiel zu folgen. Sie sollen ihn nicht unbedingt imitieren, jedoch über ihr Leben nachdenken und sich fragen, ob es sich wirklich lohnt, für ein bisschen Sicherheit und Beständigkeit ihre versteckten Träume und Ideen verkümmern zu lassen. Was hilft es, auf die Früchte der Arbeit in der Zukunft zu hoffen und auf einen weit entfernten Ruhestand zuzuarbeiten, wenn man sich gar nicht sicher sein kann, ob diese Ziele jemals erreichbar sein werden? Ein Leben in der Warteschleife. Es kann so viel passieren. Plötzlich ist man alt, und fragt sich, was man in seinem Leben eigentlich erreicht hat. Man kann durchaus hart gearbeitet haben, ohne nachher ein wirklich befriedigendes Ergebnis vorlegen zu können. Nein, Träume muss man wahr werden lassen, und Talente dürfen nicht ungenutzt brach liegen.

Obwohl wahrscheinlich die meisten Leute einer solchen Denkweise zustimmen (und vielleicht nur nicht den Mut hatten, Dinge, die sie festhalten, einfach aufzugeben), wird es solchen Selbstverwirklichern in unserer Gesellschaft erstaunlich schwer gemacht. Anpassung wird erwartet, selbst Erziehung und Schule dient vor allem der Gleichmacherei, und jegliche Abweichung von der Norm wird - ohne genauere Betrachtung oder Nachdenken - zunächst einmal als Abartigkeit gesehen (sofern sie nicht - in seltenen Fällen - zum Trend oder Kult erhoben wird). Wer sich verhält, wie es von ihm erwartet wird, wird als "erfolgreich" bezeichnet, und endet schließlich in der kleinbürgerlichen Spießigkeit, dem höchsten Grad der gesellschaftlichen Anpassung.

Um dem zu entfliehen, muss man die Leidenschaft entdecken. Aber diese ist nicht dosierbar: Leidenschaft hat man, oder nicht, sie kommt und vergeht. Und man muss sich selbst darum kümmern, dass man sie nicht verliert - indem man stets neugierig und wissbegierig ist, sich visionäre Ziele setzt, oder oft mit anderen verrückten Leuten zusammen ist und sich gegenseitig inspiriert. Womit es nach der Meinung von Steven K. Roberts sicherlich nicht geht, ist das Anfertigen von ernüchternden To-Do-Listen, die Zeitverschwendung mit eigentlich unwichtigen Dingen (mit einem Traum im Hinterkopf, aber ohne eine konkrete Ahnung, wie man ihn erreichen könnte), und die Suche nach dem schnellen Glück (sei es in Form von Computerspielen, Alkohol, Drogen, TV oder sonstiger Dinge, die nur kurz befriedigen).

Steven K. Roberts im WWW

Steven K. Roberts im Usenet