Chronologie eines Studiumabbruchs

Ein Student ist bekanntlich ganz faul, genießt nur die Vorteile des Studentenlebens, bequemt sich irgendwann mal, einen Abschluss zu machen - oder wenn er keine Lust dazu hat (oder viel zu faul ist), bricht er das Studium ab.

Oder?

Ich habe auch mein Physikstudium abgebrochen; die Hintergründe und die ganze Entwicklung dazu will ich hier beschreiben.

Warum Physik?

Mit Physik stehen viele Leute auf Kriegsfuß. Schon in der Schule gibt es eine kleine Minderheit, die dieses Fach liebt, aber eine viel größere Gruppe hasst es. Ein Mittelding gibt es nicht - der Rest kann sich zumindest nicht so richtig damit anfreunden. "Wie kann man nur Physik studieren?", fragen sich viele. Meine Gründe waren folgende:

Ausgangssituation, Erwartungen und Versprechungen

Es wird immer behauptet, dass Studenten deshalb scheitern, weil sie vom Studium allgemein bzw. vom Studienfach völlig falsche Vorstellungen hatten. Blauäugig würden sie in die Uni stolpern, und dort erst erfahren, um was es im gewählten Fach wirklich geht. Dadurch geht natürlich unnötigerweise viel Zeit verloren - andererseits hat man, aus der Schule kommend, keine wirkliche Chance, sich vom Studium ein realistisches Bild zu machen. Also: Was waren meine Vorstellungen beim Beginn des Studiums?

Ablauf des Studiums

Im ersten Semester überwog die Euphorie. Meine Freunde und ich freuten uns auf die Wissenschaft, wollten uns ordentlich reinhängen, und gleich von Anfang an alles richtig machen. Also besuchten wir sämtliche Vorlesungen und Übungen, was sich ziemlich schnell als Overkill herausstellte; wenn man ähnlich viel Zeit in der Uni verbringt wie ein durchschnittlicher Angestellter im Büro, dann hat man am Ende keine Zeit mehr, um die ganzen Hausaufgaben zu machen (von denen man mindestens 70% abliefern musste, um zur Prüfung zugelassen zu werden). In der Mitte des Semesters erkannte ich dann, dass die allgemeine Mathematikvorlesung mir nichts bringt. Sie wurde von einem Mathematikprofessor gelesen, entsprechend theoretisch-trocken war die Sache - Mathematik als Selbstzweck. Als jemand, der in der Schule nur dringesessen ist und immer alles sofort verstanden hat, bereitete mir außerdem das hohe Tempo ziemliche Probleme. Zu spät habe ich erkannt, dass es hier erstmal nichts zu verstehen gab, sondern man hätte erstmal Definitionen und Lemmata auswendig lernen müssen, um in den späteren Vorlesungen folgen zu können und am Ende schließlich ein paar Zusammenhänge zu erkennen. Die Vorlesung "Mathematik für Physiker" als Alternative war da viel besser. Als die Prüfung am Ende des Semesters näher rückte, bekam ich v.a. wegen Experimentalphysik Angst, denn ich konnte zwar teilweise von den Kenntnissen aus dem Leistungskurs zehren, aber der Rest war ziemlich unverständlich. Dann kaufte ich mir ein gutes Buch, und stellte fest: plötzlich ist alles verständlich, nur die Vorlesung und Übung waren so miserabel.

Im zweiten Semester wandte ich diese Erkenntnisse systematisch an; und so wurde es eigentlich das schönste Semester. Es war zwar anstrengender (zusätzlich: Praktikum und Chemievorlesung; nicht mehr: Maple-Kurs), aber mit der Erfahrung aus dem ersten Semester arbeitete ich systematisch die Bücher durch und verfasste Zusammenfassungen in eigenen, verständlichen Worten. Unnütze Dinge wurden weggelassen (z.B. die Chemievorlesung); manchmal ging das aber nicht, z.B. in Experimentalphysik. Dort gab es eine Anwesenheitspflicht in den Übungen, die allerdings grottenschlecht waren - die Assistenten waren teilweise planlos, die Studenten, die vorrechnen mussten, hatten oft auch keine Ahnung, und wechseln durfte man die Übungsgruppe auch nicht. An sich ist es ja eine gute Sache, Übungen zu besuchen und aktiv vorzurechnen, aber wenn das so geschieht (z.B. dass Leute vorrechnen müssen, die keine Ahnung haben), verkehrt sich die Wirkung ins Gegenteil.

Das dritte Semester wurde nochmals anstrengender, denn es kam noch die theoretische Mechanik dazu - sehr trocken, dazu von einem Professor, der alles im Eiltempo (wenn auch recht gut) macht. Gegen Ende kam ich dann mit meiner Strategie der Stoffzusammenfassungen auch ins Straucheln, der Stoff war einfach ziemlich schwer, und bei der Prüfung in theoretischer Mechanik fiel ich dann auch verdienterweise durch. Aber das machte mir nichts aus.

Im vierten Semester wurde das Pensum endlich wieder geringer - das Praktikum fiel weg. Und wir brauchten eine Pause, entsprechend ließen wir es etwas lockerer angehen. Vielleicht war das ein Fehler, denn die theoretische Physikvorlesung hatte die Quantenmechanik als das Thema - genauso trocken wie die Mechanik im Semester zuvor, dazu aber noch kein bisschen anschaulich oder intuitiv. Erschwerend kam dazu, dass wir (wie im dritten Semester) diese Vorlesung in Englisch besuchen wollten - aber der Professor erwies sich als ziemliche Niete, und als wir schließlich in die deutsche Vorlesung wechselten, hatten wir wohl den Anschluss verloren. Ich versuchte, das durch neue Rekorde bei der Stoffzusammenfassung zu kompensieren; drei oder vier Bücher bearbeitete ich, die Zusammenfassung erreichte 40 Seiten, trotzdem war ich nur ungefähr bis zur Hälfte des Stoffs gekommen - zu harte Kost. Ich musste einsehen, dass mit reinem Verständnis hier nichts zu erreichen war (obwohl das im Semester zuvor in der Experimentalphysik noch hervorragend gelungen ist), leider war es zu spät. Von den vier Klausuren bestand ich nur eine; bei einer weiteren (Mathematik) hatte ich zwar eigentlich ein gutes Gefühl, trotzdem fiel ich knapp durch.

Das fünfte Semester fand draußen auf dem Forschungsgelänge Garching statt - das miserabel mit öffentlichen Verkehrsmitteln angebunden ist, d.h. entweder fährt man täglich 100 km mit dem Auto (sofern man eines besitzt - ich nicht), oder verbringt insgesamt vier Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln. Zum Glück hatte mein Freund Michael ein Wohnmobil, so dass wir vier Tage in der Woche in Garching auf dem Parkplatz wohnten. Was auch nicht ganz problemlos war: Von den Parkplätzen rund um die Uni wurden wir vom Sicherheitsdienst verscheucht, so dass wir bis zum Physikgebäude einen Fußmarsch von gut 10 Minuten hatten; wir hatten keinen Strom für die Laptops (d.h. mussten immer in ein Gebäude gehen und warten, bis die Akkus voll waren), wir hatten kaum Internet-Anschluss (gerade wir, als das Skriptweb-Team, s.u.), weil der Computerraum in einem miserablen Zustand war und wir uns mit unseren Laptops nirgendwo an das Netz anstecken konnten, und weil wir uns nach 18:00 auf dem Gelände aufhielten, wurden wir diverse Male von den schwarzen Sheriffs abgefangen und unsere Ausweisnummern notiert. Und so saßen wir in unserer kleinen Wohnkabine herum und trotzden den Schneestürmen, die das Gefährt teilweise zum Schaukeln brachten. Obwohl wir unser Vordiplom noch nicht hatten, zogen wir das volle Programm des fünften Semesters durch (Kern- und Teilchenphysik, Festkörperphysik, theoretische Elektrodynamik, Fortgeschrittenenpraktikum), weil die Vorlesungen vom vierten Semestern sowieso nicht angeboten wurden. In den folgenden Semesterferien kamen die Nachholprüfungen, ich investierte viel Mühe, Priorität hatte die Quantenmechanik. Am Ende bestand ich nur die Experimentalphysik-Klausur (weil sie wirklich machbar war) - bei Quantenmechanik hatte ich wieder ein relativ gutes Gefühl, obwohl die Prüfung etwas schwerer war, aber es reichte wieder nicht (obwohl vermutlich nicht viel fehlte). Mathematik schaffte ich wieder nicht, aber dafür hatte ich einfach zu wenig getan.

Und jetzt hatte ich bereits das Problem, dass ich nicht mehr weiterstudieren durfte. Denn ich war in zwei Prüfungen zweimal durchgefallen, und meine Durchschnittsnote zwar um ein Zehntel zu schlecht. Zum Glück konnte ich dank einer Gesetzeslücke in den Bachelor-Studiengang wechseln und somit weiterstudieren. Ansonten wäre es aus gewesen.

Im sechsten Semester wollte ich kein Risiko eingehen, und die Quantenmechanik noch einmal komplett neu hören, samt Übung und Hausaufgaben. Diese fand in der Münchener Innenstadt statt. Um gleichzeitig noch das Elektronikpraktikum fertig machen zu können, das in Garching dummerweise am selben Tag stattfand, ergab sich eine mörderische Dreieckstour Daheim-Innenstadt-Garching-Daheim; mindestens einmal habe ich sie mit dem Fahrrad gemacht, eine Tour von gut 100 km. Kurz gesagt: Die Quantenmechanik-Vorlesung war nicht schlecht, die Übung auch nicht, aber die Klausur nochmal deutlich schwerer als die vergangenen Klausuren (diesmal kamen keine Potenzialprobleme dran, die normalerweise der Standard-Aufgabentyp der Quantenmechanik sind) - zusammen mit einer unbarmherzigen Korrektur bin ich wieder durchgefallen, ebenso mein Freund Michael. Bei ihm scheiterte es quasi an einer einzigen Formel, aber der Professor wollte weder nachgeben noch eine mündliche Nachprüfung zulassen - damit war auch für ihn das Studium nach sechs Semestern zu Ende.

Arbeitsweise im Studium

Da stellt sich die Frage: Wie bin ich an das Studium herangegangen? Auf jeden Fall sehr engagiert, denn mein Ziel war es immer, den Stoff zu verstehen - genau darum studierte ich schließlich Physik. Ein Beispiel ist das Skriptweb-Projekt: Michael und ich kauften uns vor dem Studium Laptops, und haben dann über fünf Semester lang die meisten Vorlesungen darauf mitgeschrieben. Dabei perfektionierten wir unsere Technik immer mehr; einer schrieb den Text mit, der andere fertigte die Skizzen als Vektorgrafiken an, dann wurde beides zusammengefügt, und für die Kommilitonen als PDF-Datei online gestellt. Dass Studenten ein Vorlesungsskript in den Computer eintippen, kommt immer wieder vor - aber meist machen sie es im Nachhinein, und nur bei einzelnen Skripten. Wir dagegen haben immer während der Vorlesung in Echtzeit mitgeschrieben und die Skripten zeitnah online gestellt. Das bedeutete, dass wir in den Vorlesungen immer anwesend waren, und wenn wir aus irgend einem Grund doch fehlten, besorgten wir uns die Notizen von Kommilitonen, oder wenn uns die Geschwindigkeit zu hoch wurde (z.B. weil es komplexe Matrizen einzutippen gab), fotografierten wir die Tafel ab und ergänzten damit unser Skript später. Während des gesamten Grundstudiums waren unsere Mitschriften der Vorlesung "Mathematik für Physiker" quasi die offiziellen Skripten, weil diese Vorlesung zum ersten Mal angeboten wurde und deshalb die Professoren noch keine eigenen Skripten hatten. Aber das war ja nicht alles; wir erstellten auch andere Texte (z.B. Zusammenfassungen zu bestimmten Stoffgebieten), und wir stellten z.B. auch unsere gesamten Praktikumsausarbeitungen online. Auch wenn heute fast jeder Student ein Notebook hat (damals war das noch anders; für unsere Geräte ging ein Drittel des Zivildienst-Jahreseinkommens drauf) und immer wieder Leute mit Laptops in den Vorlesungen sitzen: Ich kann guten Gewissens behaupten, dass wir Pioniere waren, wir haben Standards gesetzt, die nicht so schnell wieder erreicht werden dürften, niemand tippt die Vorlesungen auch nur annähernd so konsequent mit, wie wir das getan haben. Nur: Wen interessiert das? Wir sind das Fußvolk, die für die anderen Leute die Arbeit gemacht haben - die haben sich nur auf den Klausur-Stoff konzentriert, ihre Kraft auf die Zeit vor der Prüfung konzentriert, diese dann auch bestanden, und wir sind auf der Strecke geblieben.

Trotzdem bin ich nicht der Meinung, dass wir unsere Zeit mit unnötigen Dingen verschwendet haben. Die Stoffzusammenfassungen und speziell die Praktikumsausarbeitungen haben unendlich viel Zeit gekostet, aber genau dort hat man auch viel gelernt. Lediglich für die Klausur hat es nichts geholfen. Natürlich hätten wir im Praktikum schlampiger arbeiten und Ausarbeitungen von anderen abschreiben können - aber was ist das für ein Praktikum, bei dem man nicht verstanden hat, was man eigentlich gemessen hat? Das Bizarre ist doch: Entweder ist man ein guter Physiker, oder man kommt durchs Studium!

Gründe für das Scheitern

Der Hauptgrund waren sicherlich die teilweise extrem schwierigen Prüfungen, die kombiniert mit der strengen Bewertung schlicht und einfach ein Killerkriterium sind. Natürlich hatten die Überflieger unter den Studenten kein Problem damit, aber diese Genies kommen mit jedem System zurecht (ich habe einen tiefen Respekt vor ihren Leistungen). Die normalen Studenten haben sich meist irgendwie durchgemogelt, d.h. sie haben die Aufgaben aus den Büchern samt Rechenwegen auswendig gelernt und dann in der Prüfung leicht verändert heruntergeschrieben, ohne sie wirklich zu verstehen. Ist ja auch nicht gerade Sinn der Sache. Aber das führte dazu, dass sich die meisten Studenten nicht mit dem Stoff an sich beschäftigt haben, sondern nur mit den Beispielaufgaben (die meist sehr vereinfacht sind, um sie überhaupt analytisch rechnen zu können). Entsprechend bedeutete "eine Differenzialgleichung lösen" meist, die auswendig gelernte Lösung hinzuschreiben und anzupassen.

Ein weiterer Grund waren die starren Prüfungstermine. Die Prüfungen fanden immer am Ende des Semesters statt, und dann gehäuft; wenn man eine Prüfung nicht bestand, kam die Nachholprüfung erst ein Semester später, und zwar zusammen mit den nächsten Prüfungen, so dass dann noch weniger Zeit zum Lernen und entsprechend die Wahrscheinlichkeit, wieder bei einer Prüfung zu scheitern, umso größer war. Wer einmal in diesen Teufelskreis hineinrutschte, schob anschließend immer eine Bugwelle von Nachholprüfungen vor sich her. (Ausnahme: Man hat einen guten Arzt, und meldet sich mit Attest krank - damit haben einige Leute ihr Studium gerettet. Bei Maschinenbau ist dieses Problem angeblich noch größer, weil die Prüfungen zwar einfacher sind, dafür ist die Anzahl der Prüfungen erdrückend.) Verschieben konnte man nichts; man meldete sich spätestens im zweiten Semester zur Diplom-Vorprüfung an, und war anschließend in diesem System der halbjährlichen Prüfungen gefangen, weil die entsprechenden Fristen sehr knapp angesetzt sind. Wechseln kann man das Studienfach erst, wenn man das Vordiplom hat - vorher hat man gar nichts in der Hand.

Außerdem: An anderen Universitäten ist auch die Vordiplomsprüfung mündlich, und erfahrungsgemäß sind bei mündlichen die Noten stets besser als bei schriftlichen Prüfungen. So, wie an der TUM korrigiert wurde, ist das auch kein Wunder: Wenn man irgendwo in der Rechnung einen Fehler hat, wird der Rest gerne komplett gestrichen, anstatt danach zu suchen, ob dort nicht doch Teile (bis auf die Zahlenwerte bzw. Konstanten) richtig sind. (Das war zwar nicht die Regel, kam aber oft genug vor.) Und wenn man eine schriftliche Prüfung knapp verpasst hat, hat man oft die Chance, durch eine mündliche Nachprüfung die Klausur trotzdem noch zu bestehen - nicht so an der TUM, bis auf eine Ausnahme erklärten sich die Professoren dazu nicht bereit. Gerade das wäre aber interessant gewesen, denn knapp war es bei mir und meinen Freunden oft. Ich verlange ja nicht, dass man mir die guten Noten hinterherschmeißt, aber wenn man mit anderen Leuten redet, hört man immer wieder: "Den einen Test habe ich vollkommen unverdient bestanden, ich hatte ja überhaupt keine Ahnung vom Stoff" - uns dagegen wurde wirklich nichts geschenkt, selbst nach monatelangem Lernen musste man immer (zu recht) bangen, ob man bestanden hat. Egal wie viel Mühe man investiert hatte, das schien teilweise keine Rolle zu spielen. Weiter: Ein Professor sagte einmal zu uns Studenten, dass an der TUM die Klausurergebnisse um durchschnittlich eine Notenstufe schlechter seien als an anderen Universitäten. Dafür ist man mit der Note 4,3 an der TUM bereits durchgefallen, während man an anderen Unis damit gerade noch bestanden hat.

Schließlich noch die menschliche Komponente; ich habe an mir genau gesehen, was für Auswirkungen der dauernde Stress hat. Wenn man während des Semesters fast immer in den Vorlesungen anwesend ist und die Übungen regelmäßig besucht (incl. Hausaufgaben), dazu noch die ganzen Praktikumsausarbeitungen erledigt, und danach die halben Semesterferien für Prüfungsvorbereitungen verwendet, hält man das nicht ewig durch. Nach dem dritten Semester merkte ich bereits, dass ich nicht mehr die Kraft von früher hatte, und nach dem sechsten Semester war ich dann endgültig erschöpft - ich konnte mich beim Lernen auf die Prüfung einfach nicht mehr richtig konzentrieren. Dass ich dann durchgefallen bin, ist so gesehen kein Wunder (obwohl man doch meinen sollte, dass man, wenn man eine Prüfung zum dritten Mal macht und die Vorlesung zum zweiten Mal gehört hat, etwas dazugelernt haben müsste). Aber es gab ja auch keine Chance, die Prüfung aufzuschieben, um z.B. ein Semester lang etwas anderes zu tun - um durchzukommen, muss man wie gesagt entweder ein Genie sein oder sich irgendwie durchmogeln, die normalen Anforderungen sind für einen normalen Menschen einfach nicht zu schaffen.

Fazit

Es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Zweifellos ist Physik ein sehr schweres Fach, und ganz sicher bin ich kein Genie. Aber andererseits waren bei mir die Voraussetzungen eigentlich nicht so schlecht, von den Schulnoten her wie von Mühe und Arbeitseinsatz. Natürlich hätte ich manches besser machen können, im Nachhinein gesehen - aber das sind eigentlich nicht so viele Dinge. Ich kann auch jetzt noch sagen, immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben, und keine illusorischen Vorstellungen vom Studium gehabt zu haben.

Nein - ausgerechnet von den Leuten, denen man eigentlich Vertrauen entgegen bringen sollte, nämlich die Studienberater bzw. die Personen, die Info-Tage an der TU veranstaltet haben, fühle ich mich betrogen. Es wird einem das Bild einer bayerischen Elite-Universität vermittelt, sogar den Vergleich mit amerikanischen Top-Universitäten scheut man nicht - in der Wunschvorstellung der TU erinnert sich der Absolvent für immer an das hervorragende Ausbildungsklima seiner Uni, macht automatisch Karriere in seinem Beruf, erinnert sich dann wieder an seine Alma Mater und unterstützt diese dann sowohl mit finanziellen Mitteln als auch mit seiner Erfahrung und seinen Kontakten zu anderen Alumni. Dabei wird eines übersehen: Amerikanische Hochschulen sind zwar bekannt für ihr großes Arbeitspensum, andererseits ist die Betreuung der Studenten auch exzellent (was man von der TUM nicht uneingeschränkt behaupten kann - manche Tutoren waren zwar sehr gut, andere dagegen ziemliche Nieten), und als Belohnung bekommen die Studenten auch immer recht gute Noten. An der TUM wird einem ebenfalls der Himmel versprochen, wenn man sich nur etwas reinhängt, aber die Praxis zeigt: ist man nicht gut genug, wird man rücksichtslos fallen gelassen. Der Student soll alles geben für seine Hochschule, aber umgekehrt interessiert sich die Uni kein bisschen, wenn man Probleme hat. Wer nicht reinpasst, wird rausgeworfen. Begründet wird das immer damit, dass man ja keine Aufnahmeprüfung habe und dass die Studenten möglichst früh merken sollen, ob sie für die Physik geeignet sind. In der Praxis verkehrt sich das aber ins Gegenteil - die Leute rutschen oft mit viel Glück durch das Vordiplom (weil es anders einfach kaum zu schaffen ist); das Hauptdiplom bekommt man anschließend praktisch geschenkt. Von mehreren Leuten habe ich gehört, dass die (mündliche) Hauptdiplomsprüfung wie ein gemütliches Gespräch war, am Anfang der Prüfung wurde ihnen erstmal Kaffee angeboten, dann mussten sie ein paar Dinge skizzieren, und wurden dafür mit 1,0 belohnt - ohne etwas gerechnet zu haben, ohne eine einzige Formel genannt zu haben. (Natürlich ist das nicht bei allen Professoren so, manche machen auch wirklich schwere Prüfungen. Aber den Prüfer kann man sich aussuchen, und im Durchschnitt ist die Prüfung gut machbar.) Man hätte also sein Grundstudium an einer anderen Universität absolvieren sollen, und hätte dann nach drei bis vier Semestern sein Vordiplom in der Tasche gehabt und damit zur TUM wechseln können, wo einem dank Beschleuniger, Neutronenquelle usw. alle Möglichkeiten der Forschung offenstehen.

Ärgerlich ist entsprechend das Selbstmitleid, mit dem sich die TU München über zu geringe Studentenzahlen in der Physik beklagt, aber gleichzeitig alles dafür tut, dass die, die nicht von Anfang an perfekt sind, sondern sich manche Dinge vielleicht nur mit etwas Zeit erarbeiten müssen, herausgedrängt werden (man muss ja auch erst mal wissen, wie der Hase läuft - nicht jeder kommt mit dem System gleich gut zurecht bzw. kann auf den Erfahrungen und Tipps von anderen aufbauen). Den Studienanfängern werden Versprechungen gemacht, dass man in der Physik mit echtem Interesse und gutem Willen keine größeren Probleme haben dürfte, und dass es doch letztendlich nicht auf die Noten ankäme, sondern ein gutes Allgemeinwissen mindestens genauso wichtig sei - mit dem Hinweis auf die internationale Forschung und die modernen Messmethoden werden einem anschließend Sprachkurse und Kurse in Informatik und Elektronik nahe gelegt. Die Wirklichkeit ist, wie beschrieben, genau gegenteilig, und das macht mich wütend: die TUM informiert ihre Studenten falsch, wirbt mit einem vollkommen verzerrten Bild des Studiums.

Und wie stehe ich jetzt da? Ich darf nicht mehr Physik studieren, an keiner deutschen Universität, und auch kein verwandtes Fach - d.h. sämtliche Leistungen, die ich in drei Jahren Studium erbracht habe, sind quasi wertlos. Ich war mir zwar nie ganz sicher, was ich beruflich machen würde, aber eine wissenschaftliche Karriere hätte mir schon gefallen. Das kann ich jetzt komplett vergessen. Mein Lebenslauf sieht ähnlich aus wie bei jemandem, der in der Schule zweimal durchgefallen ist, und sich dann in ein gemütliches, gut machbares Studienfach zurückgezogen hat. Auf den ersten Blick bin ich nicht mehr als einer dieser verhassten Bummelstudenten, gegen die die Politik momentan eine wahre Hexenjagd veranstaltet - mit dem Unterschied, dass ich nie die Zeit hatte, von den Vorteilen des Studentenstatus zu profitieren. Das Studium sei die schönste Zeit des Lebens, heißt es immer, die Studenten erweitern ihr Wissen in fachfremden Vorlesungen, lernen Fremdsprachen, gehen Nebenjobs nach (und knüpfen somit schon mal Kontakte für das Berufsleben), in den Ferien reisen sie per Interrail-Ticket quer durch Europa - und ich? Für keines dieser Dinge hatte ich Zeit, das Studium forderte immer mehr von mir. Andere Studenten ziehen entweder zügig ihr Studium durch, oder nutzen die freie Zeit, um neue Dinge kennen zu lernen, z.B. ein Praktikum im Ausland zu machen, allgemein ihren geistigen Horizont zu erweitern. Ich musste darauf verzichten. Ja, ich war sogar ausgesprochen dumm, jede Chance zu nutzen und die Hoffnung niemals aufzugeben. Ich hätte schon bei den ersten Schwierigkeiten mein Studium abbrechen sollen, hätte dann ein knappes Jahr jobben oder herumreisen können, und stünde damit insgesamt immer noch besser da als jetzt. Fatal: Ich war mir die ganze Zeit bewusst, welche Opfer ich bringe, aber ich war bereit, mein Leben der Physik zu widmen. Umso herber war es, als ich von der TUM fallen gelassen wurde, wie als sei nichts gewesen.

Wie es seitdem weitergeht

Ich habe schließlich doch noch ein Studienfach gefunden, in dem ich meine Physik-Kenntnisse zumindest zum Teil recyclen konnte: Geophysik (an der LMU München). Und dort wurde ich auch nur mit einer Ausnahmegenehmigung genommen - normalerweise hätte ich dieses Fach gar nicht studieren dürfen. Und an der neuen Uni habe ich viele Dinge kennen gelernt, von deren Existenz ich keine Ahnung hatte: Leute bestehen ihr Vordiplom in Rekordzeit, ohne auch nur eine einzige schriftliche Prüfung in diesem Fach gemacht zu haben (lediglich manche Scheine in Nebenfächern erfoderten schriftliche Prüfungen), sie können problemlos das Studienfach wechseln, wobei ihnen das Vordiplom anerkannt wird (womit sie sich sogar z.B. sechs Wochen Chemiepraktikum ersparen konnten; kein Wunder, dass an der LMU das Wechseln von Studienfächern sehr verbreitet ist und jeder wechselt, sobald er merkt, dass er mit seinem Fach nicht mehr so ganz klar kommt), sie haben Nebenjobs (an der TUM bestenfalls in den Semesterferien möglich), sie unternehmen in ihrer Freizeit gemeinsam etwas (TUM: welche Freizeit?)... ich habe viel verpasst, und keine Chance es nachzuholen, denn ich muss jetzt schnellstens mein Studium beenden. Ich weiß nicht, ob ich mir einen Auslandsaufenthalt noch leisten kann.